05 | 2017 Fokus

Zum Erfolg verdammt

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„Erleichterung“ – kein Wort fiel vermutlich häufiger bei der Beurteilung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl in Frankreich: Der Wahl des Sozialliberalen Emmanuel Macrons. So ziemlich alle sind erleichtert, dass eine neuerliche, fundamentale Krise der EU abgewendet ist – mit Ausnahme der rechtsextremen Marine Le Pen und ihrer Anhänger vermutlich. Die Gefahren eines „FREXIT“, dem Ausscheiden Frankreichs aus der EU und dem Euro, und einer Schwächung der NATO sind mit der Niederlage von Le Pen vorerst gebannt.

ÜBERWINDUNG DER SPALTUNG FRANKREICHS

Es kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass damit alles in bester Ordnung wäre. Frankreich steht vor dringend notwendigen, strukturellen Reformen: Ein notorisch reformunwilliges, von einer schweren Identitätskrise gebeuteltes Land, das immer noch dem Bild einstiger Größe, seiner „Grandeur“, nachhängt. Tatsächlich ist Frankreich zwar die zweitstärkste europäische Volkswirtschaft nach Deutschland. Doch verharrt unser Nachbarland in einer mit über 10 % im europäischen Verhältnis überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit (EU-Durchschnitt März 2017: 8 %, nur Kroatien, Italien, Zypern, Spanien und Griechenland haben eine höhere Arbeitslosenrate). In der schon seit Jahren anhaltend hohen Arbeitslosigkeit liegt ein Grund für den fatalen Misserfolg der etablierten Parteien bei den Präsidentschaftswahlen: 55 % der Wähler haben im 1. Wahlgang für radikale, anti-europäisch und anti-marktwirtschaftlich aufgestellte Parteien gestimmt.

OHNE PARLAMENTSMEHRHEIT WIRD ES SCHWIERIG

Der französische Präsident hat zwar im Vergleich zur deutschen Kanzlerin eine deutlich größere Machtbefugnis. Doch sie reduziert sich stark, wenn er nicht auch über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Diese muss Macron bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 11. und 18. Juni nun erzielen, und dazu muss es ihm gelingen, die politischen Fliehkräfte in seinem Land einzufangen: Im 2. Wahlgang haben 12 % der Wahlberechtigen nur deshalb für Macron gestimmt, um Le Pen als Präsidentin zu verhindern.

SOZIAL, LIBERAL, GANZ EGAL?

Sein Programm sieht vor, die Staatsausgaben zu reduzieren, Unternehmenssteuern zu senken und die Arbeitsmärkte zu flexibilisieren: Teufelswerk in den Augen seiner extremen Kritiker. Von den Heiligen Kühen wie der 35-Stunden-Woche und der Rente mit 62 ist gar nicht erst die Rede. Seine Vorstellungen zu Europa führten bereits zu Missstimmung zwischen Berlin und Paris, dort wo das Wahlprogramm von „Eurozonen-Budget“, einem „Eurozonen-Parlament“ und einem „Wirtschafts- und Finanzministerium für die Eurozone“ spricht. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister waren nicht begeistert. Erst mit dem Ausgang der Wahlen zur Nationalversammlung wird sich also zeigen, welchen politischen Handlungsspielraum Macron tatsächlich haben wird. Immerhin stimmen die Startbedingungen positiv: Der Präsident dürfte als ehemaliger finanzpolitischer Spitzenbeamter und Investmentbanker die notwendige Sachkenntnis haben, um die Gunst des wirtschaftlichen Momentums für seine Politik zu nutzen.

RÜCKKEHR DER ANLEGER NACH FRANKREICH

Anleger können mit dem vorläufigen Ende der Zitterpartie um den Wahlausgang in Frankreich wieder durchatmen – und Gewinne mitnehmen, die in der Kurseuphorie nach dem 1. Wahldurchgang entstanden waren, als ein Aufeinandertreffen der extremen Rechten und der extremen Linken im 2. Wahlgang vom Tisch war. Internationale Investoren, die wegen der politischen Unsicherheiten um die Zukunft der EU ihr Geld nicht mehr in Europa anlegten, sollten nun an die Aktienmärkte zurückkehren. Denn die wirtschaftliche Entwicklung in Europa ist durchaus positiv.

KENNZIFFERN: TENDENZIELL POSITIV

Die Arbeitslosenzahlen in Europa sind niedriger als noch vor drei Jahren, und viele Konjunkturindikatoren deuten auf eine weiterhin positive Entwicklung hin: So weisen die jüngsten Daten aus dem deutschen und französischen Einkaufsmanagerindex die besten Werte seit sechs Jahren aus. Zugleich sollte die EZB vor Anfang 2018 nicht am Zinsniveau rühren, solange sich der positive Wirtschaftstrend in erster Linie in Mitteleuropa verfestigt. Mit Blick auf die verbesserten Konjunkturdaten, die Signale vom Arbeitsmarkt und die Nachrichten aus den Unternehmen sollten europäische Aktien von Unternehmen, die vor allem in der EU agieren, weiterhin besser als der globale Aktienmarkt abschneiden. Dafür sprechen nicht zuletzt die erhöhten Gewinne und gestiegenen Auftragseingänge der Unternehmen. Auch der Euro stabilisiert sich gegenüber dem Dollar, nicht zuletzt wegen der jüngst schwächeren US-Konjunkturdaten.

FAZIT: SUPERWAHLJAHR UND KEIN ENDE

Es besteht also eine nicht unbegründete Hoffnung, dass die zweitgrößte europäische Volkswirtschaft im Zuge der notwendigen Reformen ein weiterer Wachstumsmotor neben Deutschland wird. Noch ist allerdings alles offen. Es sei zudem daran erinnert, dass das europäische „Superwahljahr 2017“ noch nicht vorbei ist. Weitere Überraschungen, anhaltende Unsicherheit und die Möglichkeit einer weiterhin hohen Volatilität werden die Kapitalmärkte auf mittlere Sicht im Griff halten. Umso wichtiger bleiben kompensierende, nicht-korrelierende Elemente im Depot.

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