06 | 2017 Fokus

Tektonische Verschiebungen

Foto: © rangizzz - Fotolia

USA und Großbritannien – zwei transatlantische Mächte wirbeln gerade den politischen Status Quo gehörig durcheinander. Es ist nicht ohne Ironie, dass es die beiden langjährigen Garanten für Sicherheit und Stabilität in Europa sind, die dem krisenmüden und politisch uneinigen Europa die Chance auf einen neuen Integrationsschub geben könnten.

Weicher oder harter Brexit?

Großbritannien hat gewählt und Theresa May hat ihr Spiel verloren. Dies wird Auswirkungen auf die Brexit-Verhandlungen haben. Eine deutliche Mehrheit der Wähler und der derzeit in Frage kommende nordirische Koalitionspartner tendieren zu einem weichen Brexit mit dem Ziel, das Land im Binnenmarkt zu belassen. Das mag für exportorientierte Unternehmen, auch auf dem Kontinent, interessant sein. An das restliche Europa würde diese Variante indes ein politisch höchst zweifelhaftes Signal senden: Dass es keine nennenswerten Nachteile haben würde, der EU den Rücken zu kehren. Es wäre die Reduktion des politischen Europas auf die Idee eines bloßen wirtschaftlichen Zusammenschlusses. Immerhin, die Brexit-Verhandlungspartner in Brüssel sind auf einen harten Brexit vorbereitet. In seltener Einmütigkeit wurde London übermittelt, dass es keine Rosinenpickerei (mehr) geben werde. Eine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt gebe es nur mit den von den Briten ungeliebten Freizügigkeiten. Im Übrigen ist London in stärkerem Maße auf einen schnellen und komplikationslosen Brexit angewiesen als die EU. Kein Grund also, eine Position der Stärke vorschnell aufzugeben.

Die Börsen haben anders als nach dem überraschenden Brexit-Votum zunächst zurückhaltend auf das Wahlergebnis reagiert. Mittelfristig gehen Experten davon aus, dass Großbritannien einer konjunkturellen Abkühlung ins Auge blicken muss. Ein weicherer und schnellerer Brexit würde sich positiv auf Währung, Investitionen und die drohende Abwanderung von Unternehmen auswirken.

Schwere Vorwürfe gegen Trump

Eine politische Volte – dafür sind die USA seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump jederzeit gut. Aktuell schaukelt sich die Russland-Affäre zu einer unerhörten Show hoch – über 19 Millionen sollen die live übertragene Befragung des entlassenen FBI-Chefs James Comey allein am TV verfolgt haben.

Im Raum steht der unter Eid erhobene Vorwurf, Trump habe FBI-Ermittlungen behindert. Doch während Comey Trump der Lüge bezichtigt, wähnt sich der Präsident in seiner eigenwilligen Sicht der Dinge durch die Aussage Comeys „vollständig rehabilitiert“. Sollte allerdings herauskommen, dass es tatsächlich illegale Kontakte nach Russland gab, könnte dies ein Hebel für ein Amtsenthebungsverfahren sein. Und davon träumt man nicht nur in den Reihen der Demokratischen Partei. Jüngst kam nun ein neuer Vorwurf hinzu: Die Generalstaatsanwälte von Maryland und des Districts of Columbia haben Präsident Trump wegen der Verletzung von Antikorruptionsgesetzen bei Hotel-Geschäften angeklagt.

Ist Trump alternativlos?

Die Republikanische Partei steht vor einem Dilemma.  Selbst wenn es genug Anhänger gäbe, die Trump lieber heute als morgen aus dem Amt jagen möchten – wer sollte ihn ersetzen? Der erzkonservative Vizepräsident Mike Pence würde mit seiner klassisch-konservativen Agenda die begeisterten Trump-Fans nicht bei der Stange halten können. Gerade jene Wähler, bei denen Trump mit seinen paradoxen politischen Positionen besonders punkten konnte und die nicht zur Stammwählerschaft der Republikaner gehören, würden wieder verloren gehen. Für die Partei mit chronischem, demografisch begründeten Wählerschwund keine echte Option.

Einen republikanischen Putsch wird es daher wohl eher nicht geben. Und ohne die Republikaner kann kein Amtsenthebungsverfahren zustande kommen, da sie derzeit die Mehrheit in beiden Kammern haben. Jedenfalls bis zu den US-Kongresswahlen 2018.

Das Chaos als Chance

Auch außerhalb der USA gibt der politische Zustand der Welt Anlass zur Sorge. Der Nahe Osten war immer schon ein Pulverfass, jetzt aber mit größerer Sprengwirkung. Die Türkei und Russland sind jeder für sich zwei destabilisierende Elemente mit zunehmend unversöhnlichem Blick auf den Westen. Die unheilvolle Rolle, die Russland in den Wahlkämpfen westlicher Demokratien spielt, ist alles andere als beruhigend und der eigentliche Skandal der „Russland-Affäre“. Über Chinas Streben zur Weltmacht haben wir im vergangenen Monat geschrieben.

Dass Europa nun gegenüber den USA, Großbritannien und den Krisenherden der Welt eine gemeinsame Haltung finden muss, könnte den politischen Einigungsprozess in Europa stärken. Die EU, unter Führung Deutschlands und Frankreichs, ist herausgefordert, die Prinzipien neu zu definieren, welche die Union ausmachen, zusammenhalten und für die Mehrzahl der europäischen Bürger längst selbstverständlich geworden sind. Mit dem Ende der britischen Fundamentalopposition wären pragmatischere Lösungen für die strukturellen Probleme der EU leichter zu erreichen – auch hinsichtlich einer funktionierenden Außen- und Sicherheitspolitik.

Fazit

Wie die tektonische Verschiebungen der globalen Schwergewichte tatsächlich aussehen werden, muss sich zeigen. Europa ist keine Insel der Seligen, weder politisch noch ökonomisch. Doch besteht die Hoffnung, dass die Menschen erkennen, welcher Hort an Stabilität und Sicherheit hier in den vergangenen Jahrzenten geschaffen wurde. Die Konjunktur in der Eurozone läuft, und anders als in den USA, wo die versprochenen Wirtschaftsimpulse auf sich warten lassen, sind die Prognosen gut. Anleger beginnen, zugunsten europäischer Aktien die US-Investments zu reduzieren. Doch mit Rückschlägen muss mit Blick auf die Weltlage immer gerechnet werden, weshalb es sinnvoll bleibt, Depots mit festverzinslichen Elementen gegen die Volatilität der Märkte abzusichern.

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