07 | 2017 Fokus

Aktienmärkte: Die Temperatur steigt …

Bild: © NOBU - Fotolia

Ein knappes Jahrzehnt lang hatten Anleger mit einem bis dahin nicht gekannten Zinstief gelebt. Trotz Anlagenotstand und Minuszinsen, Heulen und Zähneklappern – man hatte sich an nicht auskömmliche Zinserträge und negative Renditen gewöhnt, irgendwie. Im Wesentlichen neigten die Menschen zu zwei Strategien: Die einen horteten Liquidität oder gaben es gleich für Konsum aus. Die anderen orientierten sich an rentableren Geldanlagen wie Aktien und Investmentfonds und gingen höhere Risiken ein. Über die letzten Jahre stetig steigende Kurse an den Aktienmärkten scheinen letzteren Recht zu geben. So legte der DAX seit 2009 um mehr als das Doppelte zu. Nennenswerte Rücksetzer gab es 2011 und 2015, seitdem nicht mehr. Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht es beim Dow Jones und S&P 500 ähnlich aus. Insbesondere hier beflügelten US-Präsident Trumps Wahlversprechen den Kursverlauf. Doch es ist Vorsicht geboten, denn es mehren sich die Anzeichen einer Korrektur.

Hohe Marktbewertung

Zwar zeigen die Volkswirtschaften Europas und der USA robuste Daten und ein über die letzten Jahre stetiges Wachstum, doch dieses bleibt deutlich hinter den dynamischen Entwicklungen der Aktienmärkte zurück. Die hohe Bewertung der Märkte wird an zwei Kennzahlen des S&P 500 deutlich: Zum einen ermittelten im Juli 2017 Markt-Experten von Advisors Perspectives für den S&P 500 einen Q-Wert nach James Tobin, der die Bewertung des Marktes im Verhältnis zu den kumulierten Wiederbeschaffungskosten der Unternehmen angibt, von 1,07. Q-Ratios von über 1,0 gelten als Indikator für eine Überbewertung, der langjährige Mittelwert liegt bei 0,68. Zum anderen beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 im Juli rund 17,7, was ebenfalls einer historisch hohen Bewertung entspricht – hier liegt das langjährige Mittel bei 11 bis 12.

Arglose Investoren

Gleichzeitig scheinen viele Investoren noch arglos oder durch die in den letzten Jahren häufigen politischen Überraschungen in ihrem Risikoempfinden abgestumpft zu sein: So liegt der Volatilitäts-Index VIX, der die Volatilität des S&P 500 anzeigt, derzeit auf einem historisch niedrigen Niveau. Umso größer könnten die Ausschläge ausfallen, sollte es doch zu einer Marktkorrektur kommen.

Soros wettet gegen Trump

Institutionelle Investoren scheinen bereits seit geraumer Zeit Gelder aus den Märkten abzuziehen. Auch Investorenlegende George Soros beugt der sich immer weiter von der Realwirtschaft entfernenden Entwicklung der Aktienkurse vor und hat 2017 seine Short-Positionen auf US-Märkte auf insgesamt rund 800 Mio. US-Dollar ausgebaut. Der erklärte Trump-Gegner wettet damit auf das politische Versagen des US-Präsidenten. Immer deutlicher wird die Unzufriedenheit des konservativen US-Establishments mit ihrem Präsidenten. Aus der Wirtschaft erhält er zwar immer noch die höchsten Zustimmungswerte, doch diese sind rückläufig. Kann „Trumponomics“ wirklich die ersehnten Impulse für die US-Wirtschaft geben oder ist auch dies nur eine Luftblase des nach eigenen Angaben „erfolgreichsten Präsidenten aller Zeiten“?

China – Potemkin lässt grüßen?

Auch Chinas Wirtschaftswachstum birgt Gefahren. Sollte es sich als Potemkin’sches Dorf herausstellen, das darüber hinaus mit einer massiven Verschuldung errichtet wurde, könnte eine Korrektur im Reich der Mitte auch die Weltwirtschaft und mit ihr die großen Volkswirtschaften und deren Aktienmärkte belasten.

Automobilwerte als potenzielle Zündkerzen

Zündfunken für eine Korrektur der Aktienmärkte könnten aber auch aus gleich mehreren anderen Szenarien entstehen. Da sind die Automobilhersteller, die sich immer mehr in den selbst geschaffenen Abgas-Skandal verheddern und sich nun auch noch massiven Kartell-Vorwürfen ausgesetzt sehen. Hinzu kommt das zunehmende Volumen von Autofinanzierungen, insbesondere in den USA. Ähnlich wie bei der Subprime-Krise auf dem US-Immobilienmarkt 2008 werden immer mehr Autos auf Pump und immer häufiger von Kreditnehmern mit fragwürdiger Bonität gekauft. Der Anteil neu vergebener Darlehen, die an Schuldner mit schwacher Kreditwürdigkeit gingen, lag zuletzt bei über 20 Milliarden Dollar. Häufen sich die Ausfälle, dürfte dies den derzeit noch guten Absatz ausbremsen und die ohnehin angezählten Automobilwerte belasten. Brechen diese branchenweit ein, könnten sie den gesamten Markt mitziehen.

Wohnungsmärkte im Rausch

Bei den Immobilien sind es zwar nicht mehr die Subprime-Kredite, die Anlass zur Sorge geben. Doch das billige Geld der Notenbanken und damit mittelbar die günstigen Hypothekenzinsen haben insbesondere die Wohnungsmärkte in Australien, Kanada, England, Deutschland und Neuseeland in einen wahren Rausch versetzt. Die Preise steigen und steigen. Wirklich gute Lagen und Objekte sind längst ausverkauft. Die Deutsche Bundesbank warnt daher offen vor dem steigenden Risiko eines Immobiliencrashs und den Folgen für die finanzierenden Institute. Ungemach droht auch im Falle steigender Zinsen: Die dann aus der Zinsbindung laufenden Finanzierungen werden teurer und nicht wenige Immobilienbesitzer werden den Kapitaldienst nicht mehr leisten können. Spätestens dann werden vermehrte Kreditausfälle auftreten und etliche Objekte auf den Markt kommen.

Zinswende ist die größte Herausforderung

Die Zinswende ist nicht nur auf dem Immobilienmarkt ein wesentlicher Risikofaktor. Die expansive Geldpolitik der vergangenen Jahre ist der Hauptgrund für die anhaltende Hausse. Die immense Liquidität, welche von den Notenbanken in die Märkte gespült wurde, hat zwar der Realwirtschaft auf die Beine geholfen, aber auch zu einer Übertreibung auf den Finanzmärkten geführt, die sich in der beschriebenen Überbewertung der Aktientitel niederschlägt. Lässt nun eine der Notenbanken etwas zu schnell die Luft aus ihrer aufgeblasenen Bilanz, könnte sie einen Schock auslösen, der das filigrane Marktgleichgewicht zerstört und deutliche Korrekturen erzwingt. Allein bei der Fed hat die Strategie der quantitativen Lockerung die Bilanz von 0,9 auf 4,5 Billionen US-Dollar aufgebläht. Werden diese Anleihen mit der gebotenen Vorsicht wieder in den Markt abgegeben, steigen die Renditen und sinken die Kurse. Umso wichtiger ist es der Fed, den nächsten Schritt immer wieder öffentlich zu kommunizieren, um Verwerfungen am Markt so gering wie möglich zu halten.

Auch EZB-Präsident Mario Draghi agiert vorsichtig. So ließ die EZB auf der Juli-Sitzung den aktuellen Kurs der EZB unangetastet und kommunizierte unerwartet zurückhaltend, obwohl die Kritik immer lauter wird und die Marktdaten eine baldige Abkehr von der expansiven Geldpolitik zuließen. Die wirtschaftliche Entwicklung in der EU sei anhaltend positiv, so dass wohl zu Recht von Lohnzuwächsen und leicht steigenden Preisen ausgegangen werden dürfe. Bevor die Inflation anspringe, wolle man behutsam gegensteuern, wurde Draghi zuletzt von Marktexperten interpretiert.

Euro belastet die europäischen Aktienmärkte

Die Zinsschere zwischen der EU und den USA sorgt mit Unterstützung der ineffektiven, mitunter irrationalen Politik Trumps für einen gegenüber dem US-Dollar erstarkenden Euro. Ende Juli war der Euro kurzzeitig über 1,17 Dollar gestiegen und damit so teuer wie seit August 2015 nicht mehr. Die exportorientierten europäischen Unternehmen leiden unter der Euro-Stärke. Ihre Waren werden im globalen Wettbewerb teurer und verlieren Marktanteile. Die deutliche Aufwertung der Gemeinschaftswährung bremst die Aktienmärkte in Europa sichtbar aus. Öffnet sich die Zinsschere über den Atlantik weiter, steigt mit dem Wert des Euro auch das Risiko für die europäischen Aktienmärkte.

Absicherung von Nöten

In solch einer Marktphase sorgen umsichtige Akteure vor, indem sie ihre Positionen in Aktien oder aktiennahen Wertpapieren absichern. Geeignete Instrumente sind neben ausreichenden Sicherheitspuffern durch niedrig angesetzte Barrieren, etwa bei Aktienanleihen, insbesondere Put-Optionen und Futures. Ein sorgfältiges Hedging beispielsweise von Währungsrisiken mindert zwar die Rendite, schützt in Zeiten steigender Temperaturen auf den weltweiten Aktienmärkten aber vor den Folgen größerer Rückschläge. Alles andere wäre Ignoranz oder schlimmer noch: Zockerei.

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