09 | 2017 Markt

Warten auf Godot

Wenigstens ein Signal hatte man erwartet, doch EZB-Präsident Draghi bot nichts dergleichen an. Auf der letzten Sitzung des EZB-Rates Anfang September beschloss dieser abermals, den Leitzins unverändert bei 0,00 % zu belassen. Auch die Einlagefazilität soll, zum Leidwesen der Banken, weiterhin unangetastet bei -0,40 % bleiben. Staats- und Unternehmensanleihen werden weiterhin Monat für Monat für 60 Mrd. Euro aufgekauft. Eigentlich sollte das Programm nur bis Dezember 2017 laufen, doch Draghi machte bereits deutlich, dass es kein abruptes Ende der Käufe geben werde. Es ist also wahrscheinlich, dass die Aufkäufe frühestens im Laufe des Jahres 2018 peu à peu zurückgefahren werden. Draghi machte auch klar, dass bei sich verändernden Vorzeichen die Käufe auch jederzeit wieder erhöht werden könnten. Und erst nach Ende des Anleihekaufprogramms sei eine Leitzinserhöhung denkbar. Über mögliche Kursänderungen wolle man „wahrscheinlich“ im Oktober entschieden, hält Draghi die Öffentlichkeit weiter hin.

Etwas konkreter wird die Bank of England. Zwar beließ auch die britische Notenbank trotz anziehender Inflation in Großbritannien den historisch niedrigen Leitzins vorerst bei 0,25 %, signalisierte jedoch, dass bei anhaltender Inflationstendenz eine Erhöhung „in den kommenden Monaten“ wahrscheinlich sei. Das Volumen des britischen Anleihekaufprogramms bleibt bei 435 Mrd. Pfund. Die Inflationsrate auf Jahressicht lag im August bei 2,9 % und damit deutlich über dem 2,0 %-Ziel der Notenbank. Vor allem das seit dem Brexit-Votum deutlich abwertende Pfund treibt die Preise.

Anders stellt sich die Situation in den USA dar: Dort bleibt die Inflationsrate trotz guter Wirtschaftsdaten niedrig, so dass die begonnene Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik ins Stocken gerät. Mit Spannung wird daher der nächste Zinsentscheid Ende September erwartet. Da auf dem US-Arbeitsmarkt nahezu Vollbeschäftigung erreicht wurde und die US-Konjunktur solide Zahlen liefert, hat die Fed die Zinsen in diesem Jahr bereits zwei Mal auf zuletzt 1,0 bis 1,2 % angehoben. Ein weiterer Zinsschritt sollte in diesem Jahr noch folgen, doch viele Investoren wollen wegen der niedrigen Inflation nicht mehr daran glauben.

Brian Coulton, Chefvolkswirt der Ratingagentur Fitch, erwartet dennoch bis 2020 einen Leitzins von 3,5 % in den USA. Die Fed dürfte mit ihren Zinserhöhungen trotz niedriger Inflation schneller voranschreiten, erklärte Coulton auf einer Konferenz im September. Die Erwartungen der Investoren seien zu niedrig, er befürchte daher eine zunehmende Volatilität auf den Anleihemärkten.

Fed-Chefin Janet Yellen sieht den Schlüssel für die bestehende niedrige Inflation in höheren Löhnen. Doch diese trotzen noch der wirtschaftlichen Erholung und hohen Beschäftigungsrate. Einmal mehr zeigt sich, dass Theorie und Realität zwei Paar Schuhe sind.

Ausblick

Jeder Wirtschaftsraum hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Allen gemein ist, dass es bis auf Weiteres niemandem gelingt, Zins und Inflation in Einklang zu bringen. Und so warten alle mal mehr, mal weniger zuversichtlich wie die beiden Hauptfiguren im Theaterstück „Warten auf Godot“ auf jemanden, von dem sie nicht wissen, wann er eintreffen wird – ja nicht einmal, ob er überhaupt kommt.

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