02 | 2019 Markt

Von wegen Zinswende?

Wohin man auch sieht: Europäische Union (0,00 %), Großbritannien (0,75 %), Tschechien (1,75 %), Schweden (-0,25 %), Brasilien (6,5 %), Russland (7,75 %) und USA (2,25 – 2,50 %) – die Leitzinsen bleiben konstant, selbst angekündigte oder erwartete Zinserhöhungen werden weiter aufgeschoben. Die indische Notenbank senkte ihren Leitzins sogar um 0,25 Punkte auf 6,25 % und überraschte damit Analysten und Marktteilnehmer. Begründet wurde der Schritt mit der verhaltenen Inflation, die deutlich das Ziel von 4 % verfehle.

Im Euroraum beließ die EZB den Leitzins erwartet unverändert bei null Prozent und kündigte an, dass es auch bis „mindestens über den Sommer“ dabei bliebe. Mit Blick auf die bestehenden Unsicherheiten für die europäische und globale Konjunktur, wie die diversen Handelskonflikte mit den USA oder den nach wie vor ungeregelten Brexit, rechnen Ökonomen jedoch erst 2020 mit einer Zinserhöhung.

EZB-Präsident Mario Draghi äußerte sich zuletzt eher vorsichtig optimistisch. Die jüngsten Wirtschaftsdaten wären hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Allerdings erachte man im EZB-Rat die Wahrscheinlichkeit einer Rezession weiterhin als gering.

Auch die britische Notenbank reduzierte ihre Erwartung für das Wirtschaftswachstum in Großbritannien und geht nun im Jahr des Abschieds aus der EU vom schwächsten Wachstum seit der Finanzkrise vor zehn Jahren aus. Den Leitzins ließ sie wenige Wochen vor dem geplanten Brexit entsprechend unangetastet.

Selbst die zuletzt mutige und entgegen der Empfehlung des US-Präsidenten handelnde Fed schwenkte auf einen gemächlicheren Kurs ein. Sie stimmte gegen eine Zinserhöhung zu Jahresbeginn und kündigte aufgrund der unsicheren Konjunkturaussichten eine vorsichtigere Geldpolitik an. Man müsse „geduldig“ bei künftigen „Anpassungen“ der Leitzinsen vorgehen. Das war so dann doch nicht erwartet worden, so dass die Kapitalmärkte spürbar reagierten: Der Dow Jones legte nach der Ankündigung zwei Prozent zu und überwand die Marke von 25.000 Punkten.

Angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen und latenten Rezessionsrisiken machen sich immer mehr Ökonomen Gedanken, welche Instrumente den Währungshütern im tatsächlichen Falle einer Rezession noch blieben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von der Notwendigkeit einer Zinssenkung von drei bis sechs Prozentpunkten aus, um einer Rezession wirksam zu begegnen. Angesichts der aktuellen Leitzinsniveaus in Europa und den USA dürfte das eng werden.

Der Lösungsvorschlag des IWF verblüfft: Die Zentralbanken sollen im Rezessionsfall nicht nur Minuszinsen einführen, sondern parallel das Bargeld gegenüber dem Giralgeld abwerten. Damit will der IWF der Flucht der Menschen in Bargeld entgegenwirken, wenn auf Girokonten Negativzinsen anfallen. Wirtschaftsexperten insbesondere in Deutschland reagierten besorgt auf diesen drastischen Lösungsansatz. Als mögliche Folgen wurde eine Flucht in ohnehin schon teure Sachwerte genannt. Darüber hinaus käme ein solches Vorgehen dem Einstieg in die Planwirtschaft mit all ihren negativen Folgen gleich. Die Grundsätze der freien Marktwirtschaft wären passé. Das Vertrauen in das gesamte Geldsystem wäre massiv gefährdet.

Ausblick

Die Erwägung immer drastischerer Maßnahmen zeigt die Sorgen der Währungshüter und Ökonomen. Von auskömmlichen Zinsen ist weiterhin nicht einmal ein Silberstreif am Horizont zu sehen.

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