11 | 2017 Editorial

Von wegen paradiesische Zustände

Foto: © ValentinValkov - Fotolia

Wolkenloser Himmel, türkises Wasser, weißer Strand, Palmen. Die Bilder, die wir uns vom Paradies gemacht haben, stammen aus All Inclusive-Resorts, von kitschigen Postern und alten James-Bond-Filmen. Von Inseln wie Mauritius – oder diesem kleinen Staat Fidschi, von dessen Existenz bedrohender Lage die Welt im Rahmen der jüngsten UN-Klimakonferenz in Bonn erfuhr. Hinter dem Strand der blanke Horror – das begann bereits mit „Robinson Crusoe“ und wird mit Serienformaten wie „Lost“ noch lange nicht auserzählt sein. Den jüngst durch sogenannte „Leaks“ an die Öffentlichkeit geratenen vertraulichen Steuerdokumenten den Namen „Paradise Papers“ zu verpassen, passt zum ambivalenten Image des scheinbar unschuldigen Paradieses.

Die Empörung über Offshore Investments ist allerdings wohlfeil. In der Regel sind die Konstruktionen in einer globalisierten Finanzwelt legal. Und nicht nur das: Die Flexibilisierung und der Wettbewerb der Märkte entstanden aufgrund bewusster politischer Entscheidungen. Die Idee: Wenn Staaten miteinander um günstige Standortbedingungen konkurrieren, entstehen schlanke Strukturen und niedrige Steuern, von denen alle profitieren. Denn: Wer niedrige Steuern zahlt, muss nicht überlegen, wie und wo er Steuern sparen kann. Und tatsächlich sind in den großen Industrienationen seit den 70er Jahren die Einkommen- und Gewerbesteuern gesunken.

Allerdings verkennt der Steuerwettbewerb zwischen Industriestaaten mit anspruchsvollen Sozialsystemen, öffentlichen (Hoch-) Schulen und einer komplexen Infrastruktur auf der einen und Offshore-Staaten im Paradies auf der anderen Seite die menschliche Natur:

  • Auch wenn der Spitzensteuersatz noch so niedrig ist, fließt das Geld dorthin, wo er noch niedriger ist.
  • Wer an dem System nicht teilhaben kann, kann schwer nachvollziehen, warum es dann andere können sollen.

Fehlende Einnahmen und Neid sind leider Gift für das Funktionieren einer Gesellschaft. Die im Frühjahr vom Bund der Steuerzahler, vom Statistischen Bundesamt sowie von der OECD veröffentlichten Zahlen zeigen, dass auch in Deutschland unterschiedliche Wirklichkeiten widerspruchs-, aber nicht reibungsfrei nebeneinander existieren:

  • 2017 gehen 54,6 % des (durchschnittlichen) Einkommens an die Staats- und Sozialkassen (2016: 52,9 %), die Steuerquote ist 2016 mit 23,3 % auf den höchsten Stand seit 1980 gestiegen (Bund der Steuerzahler).
  • Laut statistischem Bundesamt tragen die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung (mit mehr als 65.950 Euro Jahreseinkommen) mehr als 50 % der Einkommensteuer. Die untere Hälfte der Einkommensbezieher (mit bis zu 27.216 Euro Jahreseinkommen) trägt zu weniger als 8 % zum Einkommensteueraufkommen bei.
  • Unverheiratete Angestellte zahlen in Deutschland im Vergleich der 34 OECD-Länder mit die meisten Steuern und Sozialabgaben; nur in Belgien wird noch mehr abgeführt. Familien mit zwei Kindern liegen in Deutschland auf Platz neun der OECD-Staaten mit den höchsten Abgaben.

Wie man es dreht und wendet, paradiesische Zustände sind es für den Steuerzahler in Deutschland derzeit nicht. Das abrupte Ende der Sondierungsgespräche zur Jamaika-Koalition am vergangenen Wochenende ist auch in unterschiedlichen Ansichten zur Steuer- und Wirtschaftspolitik begründet. Paradoxerweise haben alle beteiligten Parteien Steuersenkungen in Aussicht gestellt, doch über den Weg zu diesem gemeinsamen Ziel konnte man sich neben anderen politischen Fragen nicht einigen. Statt progressiver Politik droht nun politischer Stillstand zu einer gänzlich unpässlichen Zeit. Deutschland könnte aber auch gestärkt aus der aktuellen Situation hervorgehen. Mehr dazu in der Rubrik „Fokus“ in diesem Monat.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam an den Herausforderungen wachsen!

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