03 | 2017 Fokus

US-Euphorie und Europäische Nüchternheit

Bild: © psdesign1 – Fotolia

Politische Börsen haben kurze Beine? Von wegen. Insbesondere in den USA sind die Anleger noch immer im Bann der Trumpschen milliardenschweren Wahlversprechen wie Infrastrukturprojekten, Steuerkürzungen und der Deregulierung der Finanzbranche. Phantastische Kursentwicklungen haben zwar zu überzogenen Aktienbewertungen geführt, aber das gibt der Euphorie nur neuen Zunder.

Wirken „Trumponomics“?

Dass die US-Notenbank Fed wie erwartet am 15. März die Erhöhung des Leitzinses um 25 Basispunkte auf 0,75 % bis 1,0 % beschlossen und zwei weitere Zinsschritte für 2017 angekündigt hat, sorgt nicht für den üblichen Dämpfer. An der Universität hat man Jahrzehnte lang in Volkswirtschaft gelehrt, steigende Zinsen wären Gift für die Aktienmärkte. Jetzt, so wird argumentiert, sei die Zinsanhebung ein Beleg für die robuste wirtschaftliche Entwicklung: Tatsächlich werden von der Fed die annähernde Vollbeschäftigung, die Inflation und die wirtschaftlichen Aussichten im In- wie im Ausland als Gründe für den Zinsschritt angeführt. Auch das Konsumentenvertrauen ist so gut wie seit über 10 Jahren nicht mehr.

Die Wahrnehmung erscheint selektiv. Was ist Henne, was ist Ei? Sind die Menschen zuversichtlich, weil sie von ihrer Regierung neue Jobs und geringere Steuern versprochen bekamen? Denn tatsächlich hat sich die Stimmung noch nicht in messbaren Zahlen zu mehr Konsum und Investitionen niedergeschlagen, heißt es von der Fed. Ähnlich verhält es sich mit den jüngsten, sehr guten Zahlen vom Arbeitsmarkt: Ein Beleg für den von Trump ausgelösten allgemeinen Optimismus, so seine Befürworter. Angesichts einer Regierung, die gerade mal 50 Tage im Amt ist, dürfte der wahrscheinlichere Grund sein, dass der milde Winter für weniger saisonbedingte Arbeitslosigkeit sorgte. Willkommen im postfaktischen Zeitalter.

Dennoch, es mehren sich die Stimmen, die sich laut fragen, ob Trump seine wirtschaftspolitischen Pläne schnell genug umsetzen kann, um die Kursgewinne zu rechtfertigen. Mehr als ein Dutzend von der „New York Times“ befragte amerikanische Hedgefondsmanager rechnen in ihrer Mehrzahl mit einem „mindestens mäßigen“ Rückgang der US-Aktienkurse. Denn sie glauben nicht daran, dass Trumponomics rechtzeitig ins Rollen kommt. Insbesondere die schuldenfinanzierten Programme dürften ohnehin auf sich warten lassen. Wenn dieser Newsletter erscheint, wird die Schuldenobergrenze für den US-Haushalt wieder greifen. Dann droht erstmal ein rigider Ausgabenstopp. Zusätzliche Schulden müssen dann erst vom Kongress genehmigt werden.

Politische Unsicherheiten prägen Europa

Politische Menetekel schweben auch über Europas Börsen. Hier allerdings fürchtet man eher neue Wahlerfolge der Populisten und deren Auswirkungen auf die EU, statt in ihnen Heilsbringer zu sehen. In den Niederlanden konnte der Rechtsruck gerade noch abgewendet werden, doch in Frankreich wird der Front National als Favorit gehandelt. Bei Redaktionsschluss stand die britische Regierung vor dem Start ihres „Hard-Brexit“. Und die Griechenlandkrise ist nicht etwa überstanden, sondern lediglich von Seite 1 der Nachrichten verschwunden. Italien nicht zu vergessen …

Eine Populisten-Rallye ist in Europa nicht auszuschließen. Das Gegenteil jedoch vermutlich ebenfalls nicht. Egal ob Brexit oder das Scheitern des italienischen Verfassungsreferendums im Dezember – bislang hat keine der jüngsten Verunsicherungen für eine nachhaltige Verstimmung an den Börsen gesorgt.

Potenzial für europäische Aktien

Finden in Europa fundamentale Daten unter Umständen mehr Beachtung als jenseits des Atlantiks? Bei HSBC jedenfalls wird großes Potenzial für europäische Aktien gesehen.

Die exportstarken Länder der Eurozone profitierten von der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Auch die Stimmungsindikatoren sind sehr gut – allen politischen Herausforderungen zum Trotz. Haupttreiber dürfte die Binnennachfrage bleiben. Zwar beginnt die allmählich anziehende Teuerungsrate Kaufkraft abzuziehen. Doch die stetig steigende Beschäftigung trägt den privaten Konsum: Erstmals seit Mai 2009 ist die Arbeitslosenquote im Euroraum wieder einstellig (Januar 2017 bei 9,6 %).

Für Europa kann allgemein gesagt werden, dass die Aktienmärkte gemessen am langfristigen Durchschnitt des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) leicht unterbewertet sind und damit im Vergleich zu den US-Märkten zu den attraktiveren Investments zählen. Finanzexperten gehen davon aus, dass etliche politische Risiken der Eurozone teilweise bereits eingepreist wurden. Als Beleg hierfür wird die Bodenbildung der Entwicklung im Bankensektor angeführt.

Ungewisser Zeitpunkt der Zinswende hemmt

Interessant ist die Frage, wie stark sich ein vorzeitiges Ende der expansiven europäischen Geldpolitik auf Aktieninvestments auswirken würde. Anfang März waren Hinweise aufgekommen, die EZB könnte die Nullzinsphase früher beenden als bislang angenommen, nämlich vor Ende des bis Dezember 2017 angesetzten Programms zum Aufkauf von Anleihen.

Fazit

Positive wirtschaftliche Entwicklungen diesseits und jenseits des Atlantiks sind schön und gut. Doch politisches Störfeuer und die Frage, wie die Notenbanken die Geldströme in nächster Zeit lenken werden, halten weiterhin Unsicherheiten bereit: Während die Risiken für die US-Märkte klarer zu benennen sind, droht in Europa unter Umständen ein weiteres Jahr der Seitwärtsbewegung – bei einer nach wie vor erhöhten Volatilität. Und dies vor dem Hintergrund der sich in Europa verschärfenden Anlagesituation von zunehmender Inflation bei weiter marginalem Zins.

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