05 | 2018 Editorial

Ich investiere, also bin ich

Foto: © NicoElNino - Fotolia

Können wir uns nicht einfach mit Geschäftszahlen und Bilanzen beschäftigen? Offenbar nicht: Das politische Geschehen hält jeden auch nur halbwegs interessierten Menschen derzeit mehr als in Atem.

So viel Mutwillen, politisches Porzellan zu zerschlagen, wie es US-Präsident Donald Trump derzeit im Nahen Osten tut, muss man erst einmal aufbringen. Zuletzt dann das: Die USA ließen verlauten, man sehe keinen Zusammenhang zwischen der Gewalt in Gaza mit fast 60 Toten und über 2.000 Verletzten anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung des Staates Israel und der Neueröffnung der US-Botschaft in Jerusalem. Diese Aussage setzt dem irritierenden Vorgehen, Jerusalem an einem mehr als eigenwillig gewählten Termin als Hauptstadt Israels anzuerkennen, die Krone auf. Für die Palästinenser ist es der Tag der Katastrophe, verbunden mit der Erinnerung an Tod und Vertreibung.

Gibt es ein Paralleluniversum der Wahrnehmung? So scheint es fast, wenn jemand so wenig politisches Fingerspitzengefühl aufbringt wie der aktuelle US-Präsident.

Auch der Rückzug aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran, der die Verbündeten der USA irritiert zurücklässt, ist ein frappierendes Beispiel für ein unberechenbares Vorgehen, hinter dem man verzweifelt eine Strategie sucht, die es im Weißen Haus doch schließlich geben müsste: Eine Besänftigung Israels vielleicht, um im nächsten Schritt den Friedensprozess voranzubringen?

Allerdings stand Trump auch bisher nicht in dem Ruf, eine nüchterne, rationale Strategie zu verfolgen – vielmehr musste man den Eindruck bekommen, er lasse sich von seinen Gefühlen und Animositäten leiten.

Während dieser Text entsteht, dringt ein intensives Vogelgezwitscher durch das offene Fenster, Sonne erfüllt den Raum – Sinneseindrücke, die positive Gefühle auslösen und viel realer sind als die moralische Empörung und intellektuelle Verstörung über das Sterben im Nahen Osten und die undurchschaubare Taktik aus Washington.

Wenn man sich aber der Willkür und Subjektivität seiner Gefühle und Sinneseindrücke bewusst ist, kann man sich dann einfach dafür entscheiden, sie „abzuschalten“? Um in der Folge ganz emotionslos, nach nüchterner Abwägung der Für und Wider, eine rationale Entscheidung – etwa zu einer Anlageentscheidung – zu treffen? Handelt so vielleicht der erfolgreiche Geschäftsmann und jetzige US-Präsident bzw. Commander-in-Chief Trump – und wir wissen es nur nicht?

Der Glaube daran, dass wir rein rationale Entscheidungen allein basierend auf der aktuellen Faktenlage treffen können, prägte jahrzehntelang die Vorstellung von der Funktionsweise der Finanzmärkte. Nur – wie lassen sich dann die Übertreibungen, Blasen und Hysterien erklären, die in Crashs endeten?

Sind wir Menschen mit unseren unleugbaren Schwächen vielleicht doch nicht in der Lage, Prägungen, Erfahrungen und Vorurteile ad acta zu legen, wenn es ums Investieren geht? Dass es uns bei beruflichen Entscheidungen, familiären Auseinandersetzungen und in partnerschaftlichen Beziehungen nicht gelingt, liegt auf der Hand. Unter welchen Bedingungen könnte also der perfekte, weil völlig rationale, Deal gelingen?

Mehr zu diesem Thema, der Behavioral Finance, die dieses Feld beleuchtet, lesen Sie in unserem Fokus-Thema in diesem Monat.

In diesem Sinne: Bleiben Sie sich Ihrer Menschlichkeit bewusst – investieren Sie mit Herz und Verstand.

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