04 | 2018 Editorial

Big Brother is watching

Foto: © valerybrozhinsky - Fotolia

Der Mensch als Individuum hat in der westlichen Welt einen hohen Stellenwert. Diese Errungenschaft ist jedoch nicht in Stein gemeißelt, sondern muss immer wieder verteidigt werden. Auch gegen die Zukunft.

Diese ist nicht nur in unserer geistigen Vorstellung vorhanden, in phantastischen Träumen wie der Besiedelung des Mars oder langfristigen Zielen wie dem Sieg über den Krebs. Manchmal sind Ängste, die wir gern in die Zukunft verschieben würden, morgens einfach da. In Form von Cyberterrorismus etwa oder der totalen Überwachung.

Die Zukunft, das ist vielleicht das selbstfahrende Auto. Mit Sicherheit ist sie der Kampf gegen Staaten, Institutionen oder Gruppen, die Kontrolle über fremde Daten und Systeme zu gewinnen suchen. Der jüngste globale Hackerangriff, für den erneut Russland verantwortlich gemacht wurde, lässt einen irritiert und ratlos zurück. Wenn Bomben fallen, wissen wir um Zerstörung und Leid. Was hingegen Hacker beabsichtigen – außer ganz nebenbei Unsicherheit, Sorge, vielleicht sogar Angst zu verbreiten – ist nicht immer ganz klar und mögliche Folgen sind in die kollektive Wahrnehmung noch nicht wirklich eingedrungen.

„Hallo Gegenwart, ich bin’s schon“, ruft uns die Zukunft auch aus China entgegen. Dort müssen die Menschen schon lange Überwachung und (Internet-)Zensur ertragen. Doch mit den neuen digitalen Möglichkeiten wurde in China eine neue Art der Kontrolle gesellschaftlichen Wohlverhaltens entwickelt. Parallelen zum „großen Bruder“ aus George Orwells dystopischem Roman „1984“ oder Aldous Huxleys Klassiker „Schöne neue Welt“ drängen sich dabei geradezu auf. Das komplexe Projekt werde nahezu alle Bereiche des Alltags durchdringen und das Verhalten von Bürgern und Unternehmen steuern, indem Daten gesammelt und unerwünschtes Verhalten sanktioniert werde, heißt es in der Analyse eines Berliner Think Tanks zum Thema. Wenn jemand beispielsweise die Straße bei Rot überquert oder seine Eltern nicht regelmäßig besucht, wirke sich das negativ auf seine Verhaltens-Bonitäts-Bewertung aus. Diese könnte bis ins Privatleben wichtig werden, beispielsweise bevor jemand eine Ehe eingeht.

Ob sich die Negativ-Konten wohl ausgleichen lassen? Ein vergessener Blumenstrauß zum Geburtstag durch Nachhilfe beim Nachbarsjungen? Wie viele Stunden Nachhilfe einen vergessenen Blumenstrauß aufwiegen und was bei zu vielen Miesen passiert, werden wir vielleicht selbst irgendwann erfahren. Kaum zu glauben, dass solche Mechanismen, wenn sie einmal in der Welt sind, keine Schule machen sollten.

Derzeit drängen sich aber andere Defizite in unseren Fokus: Die allzu bereitwillige Schuldenaufnahme überall auf der Welt, die bereits ihre Mahner vor einer neuen Finanzkrise findet. Klar ist, dass es keine florierende Wirtschaft ohne Schulden geben kann. Doch was ist gesund? Damit beschäftigen wir uns in unserem Fokus-Thema in diesem Monat.

Noch einmal zurück nach China: So unkritisch das Überwachungs-Bonus-System dort bislang gesehen wird, gegen die Zwangsschließung einer App wegen unsozialistischen Verhaltens wurde dann doch von Seiten der Fans protestiert. In einer abgesprochenen Online-Protestaktion zeigten die Nutzer ihren Unmut gegen die Abschaltung einer – vom westlichen Standpunkt aus gesehen harmlosen – Witze-App.

In diesem Sinne: Bleiben Sie positiv subversiv und bewahren Sie Ihren eigenen Kopf.

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