06 | 2019 Markt

Die Tage sind gezählt…

Die Tage Mario Draghis als Präsident der Europäischen Zentralbank sind gezählt. Noch drei Zinssitzungen der EZB bleiben ihm, den Kurs der Geldpolitik im Euroraum zu entscheiden. Dann endet die Amtszeit des findigen Italieners nach acht Jahren Krisenmanagement. Manch einer sieht ihn als Bewahrer der Währungsunion, der mit neuen innovativen Instrumenten Banken und Staaten vor dem finanziellen Untergang bewahrte und den Euro rettete. Andere meinen, seine ultralockere Geldpolitik hätte die Notenbank in eine Sackgasse manövriert. Tatsächlich rückte mit der jüngsten Ratssitzung eine Erhöhung der Leitzinsen in weite Ferne: Nicht vor 2020 sollen die Zinsen heraufgesetzt werden. Als Gründe werden die durch den Handelskonflikt zwischen China und den USA sowie den Brexit ausgelösten Konjunktursorgen und rückläufige Inflationswerte angeführt.

Nach jüngsten Prognosen rutschte die Inflationsrate im Mai auf 1,2 % ab, im Vormonat waren es noch 1,7 %. Die Kerninflationsrate (ohne Berücksichtigung von Lebensmittel- und Energiepreisen) fiel sogar auf nur noch 0,8 %.

Statt einer weiteren Rücknahme der expansiven Geldpolitik will die EZB nun ein neues Kreditprogramm auflegen, um die Wirtschaft zu stützen. Nachdem das bisherige Kaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen Ende vergangenen Jahres auslief, reinvestiert die EZB seitdem nur noch anfallende Zinseinnahmen.

Unter diesen Vorzeichen bleibt es spannend, wie die Nachfolge Draghis geregelt wird. Setzt die EZB ihre Linie fort oder kehrt sie zu früheren, konservativeren Positionen zurück?

Die Entscheidung dürfte erst im Herbst kurz vor dem Ende von Draghis Amtszeit fallen. Denn die Politiker der EU müssen in diesem Jahr noch eine nie dagewesene Anzahl hochrangiger Posten neu besetzen – unter anderem die Präsidentschaft der EU-Kommission. Als Nachfolger Draghis werden neben dem deutschen Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann, dessen niederländischer Amtskollege Klaas Knot, Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsschirms, der irische Notenbank-Chef Philip Lane, Ardo Hansson, Gouverneur der estnischen Zentralbank, die beiden Franzosen François Villeroy de Galhau, Gouverneur der Banque de France, und Benoît Cœuré, EZB-Direktoriums-Mitglied, sowie die Finnen Olli Rehn, Präsident der finnischen Notenbank, und Erkki Liikanen, dessen Vorgänger, gehandelt.

Weidmann gilt als äußerst qualifiziert, wird jedoch als Hardliner, als „Falke“, der sich seit Jahren für eine straffere Geldpolitik einsetzt, in den südeuropäischen Ländern eher abgelehnt. Eine mildere Alternative stellt Regling dar. Er gilt als einer der Architekten des Euro und war bereits als Nachfolger von Jean-Claude Trichet im Gespräch, bevor Draghi kam.

Die französischen Kandidaten de Galhau und Cœuré finden auch im Süden Unterstützer, zählen sie doch zur Mehrheit der Vertreter einer ultralockeren Geldpolitik im EZB-Rat. Als mögliche Kompromisskandidaten gelten der Ire Philip Lane und der Este Ardo Hansson. Die meisten Volkswirte sehen jedoch den Finnen Liikanen als Favoriten. Auch dem aktuellen finnischen Notenbank-Präsident Olli Rehn werden hohe Chancen eingeräumt.

Was der Personalwechsel an der Spitze der Notenbank bewirken kann, zeigt ein Blick über den Atlantik: Janet Yellen zeigte US-Präsident Trump die Stirn, ihr Nachfolger Jerome Powell gilt als Praktiker und Pragmatiker – ganz nach Trumps Geschmack.

Der kritisierte die Fed bereits zum wiederholten Male scharf und erhöht stetig den öffentlichen Druck, um diese zu einer Zinssenkung zu drängen. Die Zinsen seien „viel zu hoch“, die geldpolitische Strategie der unabhängigen Notenbanker „lächerlich“ und diese hätten „keine Ahnung“, verkündete er über Twitter. Den Euro und andere ausländische Währungen hält Trump gegenüber dem US-Dollar für zu günstig, was für die USA von Nachteil sei.

Seine wiederholten Äußerungen zeigen Wirkung: Mit Blick auf die stetig eskalierenden Handelskonflikte deuten immer mehr Fed-Vertreter die Bereitschaft an, den eingeschlagenen Kurs der Fed zu revidieren und die Wirtschaft durch eine Zinssenkung zu stützen.

So kündigte Jerome Powell eine „angemessene“ Reaktion auf Auswirkungen des Handelsstreits an und behielt sich damit die Möglichkeit einer Zinssenkung vor.

Ausblick

Derzeit ist die Zinswende in Europa abgesagt. Einen Meilenstein für den künftigen Kurs könnte die Nachfolge Mario Draghis darstellen. In den USA deutet sich nach der Nachbesetzung die geldpolitische Kehrtwende an.

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