10 | 2016 Fokus

Die Märkte im Bann der US-Präsidentschaftswahl

Bild: © vchalup – Fotolia

Das Jahr 2016 ist geprägt von einer Reihe von Konflikten und Ereignissen globaler Relevanz: Der Bürgerkrieg in Syrien, die Flüchtlingskrise in Europa, das Brexit-Votum oder der Putschversuch in der Türkei, um nur einige zu nennen. All diese Themen füllten die Medien, beschäftigten die Analysten an den Kapitalmärkten und verdrängten fast das nächste Ereignis mit Auswirkungen auf die globalen Wirtschafts- und Kapitalmärkte.

Die Wahl des Präsidenten der größten Volkswirtschaft der Welt ließ die Aktienmärkte lange weitgehend unbeeindruckt, doch die Unsicherheit nimmt nun kurz vor dem 8. November spürbar zu. Wohl selten zuvor waren die Kandidaten so verschieden und die Wählerschaft so gespalten wie dieses Mal. Historisch gesehen honorierten die Märkte eher demokratische US-Präsidenten. Regierte ein Republikaner im Weißen Haus, fiel die Entwicklung des S&P 500 im Durchschnitt schwächer aus. Das wollen zumindest die Experten von S&P Capital IQ in einer Untersuchung des Präsidentschaftszyklus an den US-Aktienmärkten seit 1945 herausgefunden haben. Da Betrachtungen der historischen Entwicklung bekanntlich nur eingeschränkte Aussagekraft für die Zukunft besitzen, wollen wir uns die aktuellen Kandidaten, ihre Wahlprogramme und deren voraussichtliche Auswirkung auf Wirtschaft und Märkte genauer ansehen.

Lange Zeit schien Donald Trump insbesondere aus europäischer Sicht kein ernstzunehmender Kandidat zu sein. Zu laut, zu gewagt, zu populistisch schienen seine Thesen. Doch in der breiten Masse der US-amerikanischen Bevölkerung findet er in erstaunlich vielen, ganz unterschiedlichen Gruppen Zuspruch. Umfragen sahen ihn zwischenzeitlich Kopf an Kopf mit der demokratischen Kandidatin Hilary Clinton. Dabei könnten die Unterschiede in vielen Punkten ihrer Wahlprogramme kaum größer sein. Während Clinton die Staatsausgaben erhöhen will,

um beispielsweise 275 Milliarden US-Dollar in die heimische Infrastruktur zu investieren oder die Energiewende voranzutreiben, setzt Trump auf Protektionismus, Deregulierung und niedrigere Steuern. Er will Handelsabkommen nachverhandeln und der heimischen Wirtschaft Steuergeschenke machen. Vor allem den Energiesektor will er „befreien“. Den Klimawandel hält er für normal und entsprechend sieht er keinen Grund, die US-Ölindustrie zugunsten Erneuerbarer Energien einzuschränken. Das dürfte den Ölkonzernen im Falle seiner Wahl Aufwind verleihen. Die Ausweitung des Angebotes würde den Ölpreis jedoch weiter niedrig halten.

Clinton hingegen möchte den Ausstieg aus der konventionellen Energieerzeugung. Die angekündigte „Energiewende“ der Demokratin dürfte die Ölindustrie nicht nur in den Vereinigten Staaten unter Druck setzen. Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens durch die USA und eines in der breiten US-Bevölkerung immer weiter zunehmenden Umweltbewusstseins könnte nun erstmals die Abkehr von fossilen Brennstoffen auch in den USA tatsächlich in greifbare Nähe rücken. Gelänge es, die Ölnachfrage des weltweit größten Ölkonsumenten spürbar zu senken, würde dies nachhaltige Wirkung auf den Ölpreis und die Ölproduzenten haben.

Die Kurse von Pharmaunternehmen könnte ein Sieg Clintons ebenfalls belasten. Während sie bereits seit Jahren die Preisgestaltung für Pharmazeutika kritisiert, propagiert Trump auch hier eine möglichst freie Marktwirtschaft. Seine vehemente Ablehnung des als „Obamacare“ bekannten „Affordable Care Act“ dürfte den Gesundheitssektor jedoch insgesamt belasten.

Den Finanzsektor will Trump unbedingt entlasten. Eine weitere Regulierung etwa durch den verabschiedeten Dodd-Frank Act, der zu mehr Transparenz und Verantwortung im Finanzsystem führen soll, lehnt er ab. Clinton hingegen steht hinter dem Dodd-Frank Act und will unter anderem für den Eigenhandel der Banken eine Risikogebühr auf risikobehaftete Geschäfte einführen.

CBOE Volatility Index® (VIX® Index®): Volatilität im S&P 500 nimmt zu

Auf den Finanzsektor dürfte jedoch der von Trump angekündigte Protektionismus des Binnenmarktes weit größere Auswirkungen haben. Sollten tatsächlich Strafzölle etwa gegen China eingeführt und die heimische Wirtschaft durch weitere Maßnahmen vor internationalem Wettbewerb geschützt werden, profitierten zwar einzelne Industrien wie Stahlproduzenten und die US-Autohersteller, aber der US-Dollar dürfte geschwächt und die Inflation erhöht werden. Für Deutschland wäre das keine gute Nachricht. Die USA sind unser größter Handelspartner. Unsere Exportwirtschaft würde durch einen schwachen US-Dollar und Wettbewerbsnachteile gegenüber US-Herstellern etwa im Automobilsektor belastet werden.

Wie auch immer das Wahlergebnis aussieht, es wird weitergehen. Doch während Clinton als Präsidentin eher für eine kontinuierliche Fortsetzung von Obamas Kurs stünde, würde Trumps Unberechenbarkeit als Präsident für eine anhaltende Verunsicherung sorgen.

In der heißen Phase bis zur Wahl wird die Unsicherheit der Märkte weiter zunehmen. Ein regelmäßiger Blick auf den Volatilitätsindex VIX, der die erwartete Schwankungsintensität im amerikanischen Aktienindex S&P 500 widergibt, könnte sich lohnen. Kurzfristig könnte die Nervosität stark zunehmen. Bezüglich der mit langer Sicht zu erwartenden Entwicklung zeigt das Beispiel des Brexit-Votums, dass die langfristigen Auswirkungen solcher Ereignisse auf die Kapitalmärkte selbst bei einem überraschenden Ausgang oftmals moderater ausfallen, als von vielen Experten befürchtet.

Für Investoren könnten die letzten Wochen vor der Wahl mit einer erhöhten Volatilität kurzfristig Chancen bieten – unter anderem im Bereich der strukturierten Produkte wie Aktienanleihen. Hohe Volatilität bedeutet hohe Risikoprämien und damit hohe Coupons, die dann in der sich beruhigenden Phase nach der Wahl eingefahren werden können.

Möglicherweise liegt also die Chance weniger im Ergebnis der Wahl, als in der Unsicherheit ihres Ausgangs.

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