Am 3. November 2020 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt – oder der alte wiedergewählt. Ein Jahr scheint eine lange Zeit, doch schon jetzt wirft die Wahl ihre Schatten voraus. Auf beiden Seiten positionieren sich die Kandidaten und sogar der sonst um keine Provokation verlegene Amtsinhaber Donald Trump scheint leisere Töne anzuschlagen, um seine Wiederwahl möglich zu machen. Im Mai diesen Jahres schien der Republikaner noch von einer fast ungezügelten Risikobereitschaft getrieben zu sein, den Handelskrieg mit China und die Auseinandersetzung mit dem Iran in seinem Sinne zu entscheiden. Ein halbes Jahr später gibt sich der US-Präsident deutlich zurückhaltender, denn die teilweise von ihm selber geschürten Konflikte am anderen Ende der Welt könnten die Wirtschaft seines Landes empfindlich schädigen. Und nichts kann ein Präsident, der wiedergewählt werden möchte, weniger gebrauchen als eine lahmende Konjunktur im Wahljahr. Warnzeichen für Trump, seinen Kurs zu ändern, sind vor allem schwache Umfragewerte – gemessen an der Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit während seiner bisherigen Amtszeit so niedrig ist wie selten zuvor. Allein seine bisherige Wirtschaftspolitik wird von den Wählern als positiv empfunden.
Trump rudert zurück
Anzeichen für eine neue gemäßigtere Außenpolitik der USA gibt es mehr als genug, so fällt unter anderem die Entlassung des US-Sicherheitsberaters John Bolton darunter. Der als absoluter Hardliner bekannte Verfechter der Politik des „maximalen Drucks“ dürfte wohl von einem deutlich moderateren Nachfolger und damit bereits vierten Sicherheitsberater von Donald Trump ersetzt werden. Trump selber hatte nach der Entlassung von Bolton getwittert, es habe starke Meinungsverschiedenheiten gegeben; die New York Times berichtete, Trump habe sich beschwert, dass Bolton zu willig sei, die USA in einen Krieg zu verwickeln. Fast gleichzeitig mit der Entlassung Boltons verkündete Trump, die für den 1. Oktober angekündigte Ausweitung der Strafzölle gegen China zu verschieben. Die Chinesen signalisierten ihrerseits Verhandlungsbereitschaft und versprachen, die Käufe von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den USA zu verstärken. Selbst gegenüber seinem erklärten Erzfeind, dem Iran, schlägt der US-Präsident nach den Anschlägen in Saudi-Arabien mildere Töne an. Während einige Mitglieder der US-Regierung, darunter Außenminister Mike Pompeo, sofort den Iran als Verantwortlichen nannten, äußerte sich Trump weniger deutlich. „Wir müssen definitiv herausfinden, wer es getan hat“, sagte er und fügte an: „Ich will mit niemandem Krieg“. Die Warnung, die Vereinigten Staaten seien aber auf einen Konflikt vorbereitet und könnten jederzeit mit einem viel, viel größeren Angriff zurückschlagen, sparte er sich allerdings nicht.
Warren macht „Angst“
Doch der momentane „Rückzug“ von Donald Trump allein reicht nicht, um alle Risiken für die weltgrößte Wirtschaftsmacht im Vorfeld der 2020-Wahlen auszumerzen. Der Aufstieg der progressiven Elizabeth Warren im Rennen um den demokratischen Präsidentschaftsbewerber könnte Marktteilnehmer verunsichern, denn sie steht für Gesetze und Regularien, die die Unternehmensgewinne im Banken-, Gesundheits-, Rohstoff- und Technologiesektor empfindlich treffen könnten. Bislang konnte die Juristin aus Oklahoma, die für die neue „Sozialisierung“ der Demokraten steht, zwar noch nicht an ihrem Konkurrenten Bernie Sanders und vor allem dem derzeit in Umfragen führenden Joe Biden vorbeiziehen, doch sie macht zunehmend Boden gut. Was ihre Wahl für die großen US-Unternehmen bedeuten könnte, betitelte der Fernsehsender CNBC so: „Wall Street-Bosse zittern vor einer Präsidentin Elizabeth Warren“. Warren selbst antwortete in einem Tweet auf die Schlagzeile: „Ich bin Elizabeth Warren und ich unterstütze diese Nachricht“.
Die Spannung steigt
Ein gutes Jahr vor der Wahl bestimmen politische und geopolitische Unsicherheiten die US-Wirtschaft und Wirtschaftsexperten warnen gar vor „Schwarzer Schwan“-Risiken. Hierunter versteht man sehr seltene, unvorhergesehene Ereignisse, deren Effekt jedoch enorm ist. Dazu könnte Trumps neue Zurückhaltung zu spät kommen, scheint es doch, als seien Bärenmarkt und Rezession nicht mehr aufzuhalten. Eine schwache Wirtschaft wiederrum könnte Trump veranlassen, die eben noch ruhenden Konflikte mit voller Kraft wieder aufzunehmen, um so die Amerikaner im Wahljahr an ihren Patriotismus zu erinnern. Auch wenn die US-Wahl erst in knapp 14 Monaten ansteht, steigt die Spannung also bereits deutlich.