08 | 2019 Editorial

Mit dem Schopf durch die Wand

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Italiens Regierung steht nach 14 Monaten vor dem Aus. Das mag für Italien ordentlicher Durchschnitt sein, das traditionell mehr Regierungen verschleißt als alle anderen EU-Staaten. Aber auch viele andere europäische Staaten lassen derzeit an Stabilität zu wünschen übrig, auf der Suche nach Mehrheiten/ Koalitionspartnern/ Parteivorsitzenden/ Ministerpräsidenten. Noch neu in der Runde der Länder, in denen der Regierungschef womöglich auf einem Schleudersitz sitzt, ist Großbritannien.

Ende Juli musste Theresa May nach nur drei Jahren im Amt das Zepter an Boris Johnson übergeben, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dessen Amtszeit sogar noch viel kürzer sein wird. Was jedoch vielleicht weniger mit dem zusammenhängt, was der neue Premierminister tut, als mit dem, was er nicht tut.

Derzeit wird beispielsweise nicht über den Brexit gesprochen, der – wie es jetzt aussieht – Großbritannien am 31. Oktober dieses Jahres ohne ein Abkommen mit der EU aus derselben herauskatapultieren wird: Während Johnson keinen Schritt auf Brüssel zugehen mag, bevor nicht der Passus zum Backstop aus dem mit seiner Vorgängerin ausgehandelten, aber nicht abgesegneten Vertragswerk gestrichen wurde, lehnt man sich bei der EU zurück und ist der Meinung, es sei alles gesagt.

Wenn aber Johnson nichts unternimmt, um den No-Deal-Brexit aufzuhalten, muss das Parlament handeln – etwa ein Misstrauensvotum einleiten. Aber auch hierfür wird die Zeit knapp.

Nicht zu vergessen: Während die Briten über die Frage abstimmen durften, ob sie in der EU verbleiben wollen oder nicht, stand die Frage, ob sie die EU ohne vertragliche Regelungen verlassen wollen, nicht zur Debatte. Und auch nicht die Frage, ob sie harte wirtschaftliche Einbußen hinnehmen möchten, wenn es zu einem „Hard Brexit“ kommen sollte.

Was Wirtschaft und Londoner City vom Brexit-Kurs ihrer Regierung halten, lässt sich jedenfalls am Kurs des Pfunds ablesen. Unmittelbar nach dem Referendum 2016 fiel die Währung auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren, seitdem verlor das Pfund noch einmal mehr als 13 %. Nachdem Johnson ankündigte, er wolle bei einem Misstrauensvotum erst nach dem Brexit Neuwahlen ansetzen, um sein Land in jedem Fall zum festgesetzten Datum aus der EU zu führen, fiel das Pfund auf ein 10-Jahres-Tief im Vergleich zum Euro.

Während Boris Johnson den Pfund-Verfall für seine Variante von „Rule Britannia“ in Kauf nimmt, wird andernorts die Währung bereits zur Waffe geschliffen. Die Ausweitung der Kampfzone im US-amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt ist unser aktuelles Fokus-Thema.

Der aktuelle britische Premierminister, über den gesagt wird, alle würden ihn mögen, außer die Leute, die ihn wirklich kennen, nimmt für seine Karriere unter Umständen noch mehr in Kauf als ein schwaches Pfund. Neben enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten drohen massive politische Probleme mit (Nord-)Irland und Schottland. Beobachter rechnen mit einer Verfassungskrise. Keiner weiß, worauf das Vereinigte Königreich zusteuert. Aus der Sicht der Brexiteers wird indes eines klar sein: Die Schuld an der Misere wird mit Sicherheit der EU zugeschrieben.

In diesem Sinne: Bleiben Sie stark!

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