02 | 2017 Editorial

Ich zuerst!

Bild: © Denys Rudyi – Fotolia

„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ So lautet ein bekannter Aphorismus eines unbekannten Autors. Der Urheber so markiger Aussagen wie „America first“ und „Make America great again“ ist dagegen sehr wohl bekannt. Der zum 45. Präsidenten der USA gewählte Donald Trump dient mit dieser Haltung nationalistischen Populisten in Europa als Vorbild. Was passieren könnte, wenn Marine Le Pen in Frankreich die anstehenden Wahlen in Frankreich gewinnen sollte, skizzieren wir in unserem Thema des Monats 02|2017.

Man sollte meinen, angesichts von weltweitem Terrorismus, globalem Klimawandel und Armut in weiten Teilen der Welt hätte die Menschheit gleiche Ziele, die es gemeinsam zu erreichen gilt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Jeder ist sich selbst der nächste und so baut Putin seinen Machtapparat aus, während in weiten Teilen des ehemaligen Zarenreiches noch auf offenem Feuer gekocht wird. Stromanschluss oder gar Internet und damit Zugang zu In-formationen? Fehlanzeige. In der Türkei hat sich Erdogan wohl überlegt, dass die EU vielleicht doch nicht so vorteilhaft ist und der eigene Machtanspruch Vorrang hat. So werden nach einem gescheiterten Putsch Tausende Oppositionelle, Richter und Journalisten verhaftet. Gleichzeitig soll nach Willen der Regierungspartei AKP ein Präsidialsystem eingeführt werden. Kritiker befürchten allerdings eine Diktatur. Denn das Amt des Ministerpräsidenten entfiele und Staatspräsident Erdogan würde die Macht auf sich und sein Amt vereinen. Das sei vergleichbar mit den USA und Frankreich, sagen Befürworter. Doch der Vergleich hinkt: In beiden Staaten gibt es mächtige Kontrollinstanzen wie Senat und Repräsentantenhaus beziehungsweise Parlament. Im April soll das türkische Volk entscheiden.

Ebenfalls im April wählen die Niederländer. Geert Wilders‘ Freiheitspartei PVV, die einen EU-Austritt anstrebt, könnte die stärkste Partei werden. Er ist allerdings weitgehend isoliert, so dass es kaum Koalitionsoptionen geben dürfte. Alle größeren Parteien haben eine Regierungszusammenarbeit mit der PVV ausgeschlossen. Damit sollte ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft in weite Ferne gerückt sein. Doch das dachte man auch von Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten.

Wohin man in der Welt und insbesondere in Europa derzeit schaut, nehmen nationalistische Tendenzen zu. Nach Jahren der Krise und anhaltender Verunsicherung wünschen sich offenbar immer mehr eine starke Führung – jemanden der einfache Antworten auf komplexe Fragen weiß und alles zum Guten wendet. Dabei übersehen sie, dass das unmöglich einem Einzelnen, nicht einmal einem einzelnen Staat, gelingen kann. Nur gemeinsam mit vielen kann eine dauerhafte Lösung für alle erreicht werden. Denn eine Gemeinschaft, die zusammen Ziele anstrebt und Probleme löst, ist mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Stabilität und Sicherheit wird es nur geben, wenn es allen gut geht.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns Brücken anstatt Mauern bauen, investieren statt horten. Die Rendite wird unbezahlbar sein.

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