12 | 2016 Fokus

Forza Italia? Italien nach dem Referendum

Bild: © Samuele Gallini – Fotolia

Diesmal lagen die Demoskopen richtig. Sie hatten das Scheitern des italienischen Referendums zur Verfassungsreform vorhergesagt. Das von manchem Experten befürchtete Börsenchaos blieb jedoch aus. Offenbar haben die Märkte erkannt, dass politische Beben schnell abebben und höchstens langfristig Wirkung entfalten. Kurzfristig übertriebene Reaktionen gab es daher nicht. Andere Faktoren sorgten dann sogar für steigende Kurse in Europa.

AKTIENINDEX STEIGT

Man könnte den Eindruck erlangen, die Unsicherheit vor derartigen Ereignissen sorge für mehr Kursschwankungen als das tatsächliche Ergebnis. Nicht einmal Italiens Aktienindex MIB ging in die Knie. Im Gegenteil: Der Index hat seit dem Referendum mehr als 10 % zugelegt, nachdem er sich vor der Abstimmung recht volatil präsentierte. Paradoxerweise steigt der Index, obwohl eine politische Reform, welche die italienische Regierung handlungsfähiger gemacht hätte, auch ein wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Gesundung der italienischen Volkswirtschaft gewesen wäre. Und obwohl der Rücktritt Matteo Renzis und die Übergabe an eine möglicherweise nur Übergangsregierung unter Paolo Gentiloni eine anhaltende politische Unsicherheit bedeuten, da nahezu alle Parteien Neuwahlen fordern.

EUROPA IN GEFAHR?

Mit der Niederlage Renzis könnten nun auch die Euro-Kritiker in Italien wieder Gehör finden. Gelingt es nicht, die lange überfälligen Reformen der italienischen Wirtschaft zügig voranzutreiben, würde der gegenwärtig schwache Aufschwung erstickt. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis angesichts weiter enttäuschender Wachstumsraten und erdrückender Schulden die Frage nach der Mitgliedschaft in der Eurozone gestellt wird.

So hat bereits die Unternehmensberatung Roland Berger zusammen mit der WELT-Gruppe quasi vorauseilend 500 deutsche CEOs – die Mitglieder des sogenannten Leaders Parliament – nach ihrer Einschätzung zum Verbleib Italiens in der Währungsunion befragt. Das Ergebnis zeigt, dass die Mehrheit der Befragten den Verbleib erwartet. 24 % halten die industrielle Basis für stark genug, um die Mitgliedschaft sicherstellen zu können. 35,6 % und damit mehr als ein Drittel der befragten Wirtschaftsführer glauben, dass sich am Ende die Reformkräfte in Italien durchsetzen können und die Wirtschaft den erhofften Aufschwung erlebt. Doch immerhin 28,8 % der Befragten sehen dies genau anders: Für sie verweigert ein zu großer Teil der Bevölkerung die notwendigen Reformen. 7,5 % glauben gar, dass weite Teile der italienischen Wirtschaft bereits zu weit abgehängt wären.

PRODUKTIONSSTANDORT NICHT WETTBEWERBSFÄHIG

Auch Wirtschaftsexperte Professor Hans-Werner Sinn hält die Lage Italiens für so desolat, dass ein Austritt aus dem Euro nur noch eine Frage der Zeit sei. Dabei befürwortet er keineswegs den Austritt. Doch die Produktionskosten der italienischen Wirtschaft seien viel zu hoch und international nicht wettbewerbsfähig. Dem Schweizer Tagesanzeiger sagte er, Italien sei als Produktionsstandort gegenüber Deutschland seit 1995 um 42 % teurer geworden. Wachstum ist so kaum möglich. Viele Italiener geben dem Euro die Schuld. Da Strukturreformen ihre Wirkung vor allem während eines generellen Aufschwungs entfalten können und nur weniger sichtbar in einer stagnierenden Wirtschaft, konnten Renzis Reformen die Stimmung nicht drehen.

ERDRÜCKENDE SCHULDENLAST

Eine Investitionskonjunktur, in der die Reformen volle Wirkung hätten zeigen können, wurde vor allem durch ein wesentliches Problem Italiens verhindert: Schulden. Die hohe Staatsverschuldung beträgt mittlerweile mehr als 130 % des Bruttoinlandsproduktes. Die Ratingagentur Moody’s senkte den Bonitätsausblick des Landes von neutral auf negativ (Baa2).

Bei Standard & Poor‘s liegt Italien bei BBB-, bei Fitch immerhin noch bei BBB+. Doch das Land rangiert gefährlich nah am sogenannten Junk-Status.

350 MILLIARDEN EURO LEIDENDER KREDITE

Noch dramatischer steht es um Italiens Banken. Nicht Verbriefungsgeschäfte mit komplexen Finanzprodukten, sondern einfache Kreditausfälle bedrohen die Häuser: Rund 350 Milliarden Euro an Non-Performing-Loans belasten die Bilanzen der italienischen Banken. Diese Anhäufung war möglich, weil die wirtschaftliche Entwicklung Italiens über Jahrzehnte zu schwach war und ausstehende Reformen den Abbau behinderten.

Allein 28 Milliarden Euro an faulen Krediten belasten die Bilanz der Monte dei Paschi. Die älteste Bank der Welt führt die Liste der im Bankenstresstest der EZB durchgefallenen Institute an. Bis zum 31. Dezember 2016 muss die nach verwaltetem Vermögen und Kunden drittgrößte Bank Italiens ihre Kapitalausstattung um fünf Milliarden Euro aufstocken. Mit ca. 2.000 Filialen, rund 25.000 Mit-arbeitern und etwa fünf Millionen Kunden ist sie systemrelevant. Dennoch scheiterte ihre Rettung bisher an der politisch schwierigen Situation in Italien. Renzi wollte das Projekt nicht zeitgleich mit dem Referendum angehen; nun könnte es zu spät sein.

Ein weiterer prominenter Kandidat in der Reihe kriselnder Banken ist die Unicredit. Mit ihr hat die Krise bereits europaweite Auswirkungen. So wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz tausende Banker entlassen. Das lastet auf dem gesamten Bankensektor und erschwert auch Kapitalmaßnahmen deutscher und anderer europäischer Banken. Fällt eine der großen italienischen Banken, wird der Staat einspringen müssen, was jedoch ohne einen teilweisen Schuldenschnitt für Sparer und Anleger unmöglich sein dürfte und dennoch den Schuldenberg Italiens weiter erhöhen würde. Eine Spirale, die nur durch schnelle und konsequente Reformen abzuwenden ist.

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