07 | 2018 Fokus

Die Fußball-WM als Wirtschaftsindikator?

Foto: © Michael Stifter - Fotolia

Frankreich wird Weltmeister – Präsident Macron sonnt sich trotz strömenden Regens im Erfolg der Équipe Tricolore und mit ihm die gesamte Grande Nation. Mit Kroatien und Belgien folgen zwei kleine Staaten auf den Plätzen 2 und 3, die nicht jeder auf dem Radar hatte, auch wenn sich für Fußball-Kenner die Qualitäten dieser Mannschaften und ihr Potenzial bereits im Vorfeld abzeichneten. Deutschland dagegen enttäuschte. Hoch waren die Erwartungen, überschaubar die Leistung. Waren die Deutschen zu erfolgsverwöhnt? Nicht hungrig genug?

Parallelen zu Politik und Wirtschaft drängen sich auf. Gibt es Zusammenhänge zwischen sportlichem Erfolg und wirtschaftlicher Stärke? Wir haben uns einmal einige WM-Teilnehmer exemplarisch angesehen.

Frankreich

Die Wirtschaft Frankreichs ist, gemessen am absoluten Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,58 Bn. US-Dollar, die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt, nach den USA, der Volksrepublik China, Japan, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und seit 2017 Indien. Üblicherweise liegen Frankreich und das Vereinigte Königreich bezogen auf ihre Wirtschaftsleistung Kopf an Kopf. Ist es Zufall, dass England mit dem Einzug ins Halbfinale ebenfalls einen historischen Erfolg verbuchte?

Frankreich gilt in Europa als das wichtigste Industrieland neben Deutschland. Politisch beansprucht Präsident Macron ebenfalls eine Führungsrolle. Mit seiner Wahl, die Frankreich vor einem Rechtsruck bewahrte, scheint das Land an Dynamik zu gewinnen. Traditionell nimmt die französische Regierung aktiven Einfluss auf die heimische Wirtschaft. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 überstand sie besser als die meisten EU-Staaten.

Zu Jahresbeginn 2018 wuchs die französische Wirtschaft jedoch schwächer als erwartet. Das BIP habe im ersten Quartal um 0,2 % zum Vorquartal zugelegt und damit das schwächste Wachstum seit dem dritten Quartal 2016 gezeigt, teilte das Statistikamt Insee im Mai in Paris mit. Im vierten Quartal 2017 hatte der Zuwachs noch 0,7 % betragen, Experten hatten danach zumindest noch mit einem Wachstum von 0,3 % gerechnet.

Kroatien

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt 2017 von 54,52 Mrd. US-Dollar ist Kroatien in der EU und weltweit kein Schwergewicht. Angesichts knapp 4,1 Mio. Einwohner ist das auch kein Wunder. Betrachtet man das BIP pro Kopf, sieht es 2017 mit 13.400 US-Dollar etwas besser aus. Kroatien liegt damit auf ähnlichem Niveau wie WM-Favorit Argentinien, Deutschlands Gruppengegner Mexiko oder das benachbarte Serbien.

Der Ausbruch der Finanzkrise 2007 belastete die kroatische Volkswirtschaft über Jahre massiv. Bis 2014 büßte das Land rund ein Sechstel seiner Wirtschaftskraft ein. Doch seit 2015 scheint der Turnaround geschafft, seitdem liegen die Wachstumsraten sogar über denen Deutschlands. Die Wirtschaft wuchs 2015 um 2,3 %, 2016 um 3,2 % und 2017, etwas langsamer, um 2,8 %. Die Arbeitslosenquote sinkt zusehends, ist jedoch mit 11,1 % im Jahr 2017 immer noch verhältnismäßig hoch (2013: 17,4 %). Wichtigster Wirtschaftszweig ist der Tourismus. In den vergangenen Jahren erlebte das Land einen wahren Tourismusboom: 2017 haben 18,5 Mio. Touristen (+13 % gegenüber Vorjahr) das Land an der Adria besucht.

Belgien

Belgien verfügt ebenfalls über einen starken Tourismussektor, auch wenn sich die Art des Tourismus im Nordsee-Land Belgien deutlich von dem Kroatiens unterscheidet. Mit 11,4 Mio. Einwohnern übertrifft Belgien Kroatien um fast zwei Drittel. Dabei ist es von der Fläche kaum mehr als halb so groß. Belgien ist das am dichtesten besiedelte Land der EU und weist eine 98 %-ige Urbanisierungsquote auf.

Das BIP Belgiens betrug 2017 rund 494,7 Mrd. US-Dollar, das BIP pro Kopf im selben Jahr 43.580 US-Dollar. Hier wird der Unterschied zu Kroatien deutlich. Die Wachstumsraten fallen dagegen moderater aus, sie entwickeln sich nahezu parallel mit denen des großen Nachbarn Frankreich. 2017 wuchs die belgische Volkswirtschaft um 1,7 %. Die Krise nach 2007 belastete es weniger als andere Staaten, dafür war auch die Erholung danach weniger ausgeprägt. Die wichtigsten Handelspartner sind die Nachbarländer Frankreich, Deutschland und die Niederlande. Durch seine zentrale Lage im Herzen der EU ist Belgien fest in das Handelsnetz der Europäischen Union eingebunden. Nicht von ungefähr ist Brüssel Sitz des Europäischen Parlaments und der NATO.

Ob es an der Gruppenphase der WM in Russland lag, darüber lässt sich nur spekulieren, jedoch hellte sich das Geschäftsklima in Belgien im Juni überraschend auf. Die belgische Notenbank verkündete, der Indikator sei im Vergleich zum Vormonat um 0,4 Punkte auf 0,6 Zähler gestiegen. Ökonomen hatten hingegen einen Rückgang erwartet.

England

England ist nicht nur das Mutterland des Fußballs, sondern auch der Industriellen Revolution. Das Vereinigte Königreich zählt zu den am stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt. Die britische Wirtschaft pflegt Prinzipien der Liberalisierung, des freien Marktes, niedriger Besteuerung und geringer Regulierung. Sie liegt mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 2,62 Bn. US-Dollar (2017) knapp vor Frankreich und Indien, aber noch deutlich hinter Deutschland (3,68 Bn. US-Dollar) auf Rang fünf der größten Volkswirtschaften weltweit. In Europa ist sie damit Nr. 2 hinter Deutschland. Das Wachstum ist gleich auf mit dem Frankreichs (2017: +1,8 %), allerdings fällt dieses im Vereinigten Königreich seit 2014. Der beschlossene Brexit und die damit einhergehende Spaltung in der britischen Bevölkerung, der Konflikt mit der EU und die besondere Beziehung zu den USA muten Wirtschaft und Einwohnern des Königreiches einiges zu.

London ist nach wie vor der führende Finanzplatz Europas und der Finanzsektor der wichtigste Dienstleistungssektor der Briten. Doch die „City“ bebt. Der Brexit schwebt wie ein Damoklesschwert über ihr und mit ihm Jobabbau und Bedeutungsverlust.

Da kam das historisch gute Abschneiden der jungen englischen Nationalmannschaft dem Selbstbewusstsein der Briten gerade recht. Und zur Not kann man ja auch wieder stolz auf die Royals sein, denn auch hier vollzieht sich ein Generationenwechsel.

Deutschland

Und genau an diesem ist Deutschland zumindest bei der WM gescheitert. Es lag sicher nicht an der Qualität der einzelnen Spieler und auch nicht an den taktischen Fähigkeiten des Trainers. Vielmehr an der Situation der Mannschaft zwischen den Weltmeistern von 2014 und den jungen Wilden des Confed Cups und der U21-EM. Es fehlte am Miteinander, an dem Willen, sich für einander aufzuopfern, der noch 2014 in Brasilien den entscheidenden Unterschied machte. Die Erwartungen waren hoch, man war Erfolg gewohnt, aber der Biss, sich aus der eigenen Komfortzone zu bewegen und unvoreingenommen nach vorn zu schauen, war verloren gegangen.

Dieser Herausforderung müssen sich die Sportler, aber auch Politiker und Wirtschaftsführer stellen. Denn Deutschland befindet sich wirtschaftlich in einer Komfortzone. Mit einem BIP von 3,68 Bn. US-Dollar ist Deutschland unangefochtene Nr. 1 in Europa. Doch die Führungsrolle auch in politischer Hinsicht will nicht so recht gelingen. Auch innenpolitisch steht die Kanzlerin geschwächt da. Die schwierige Regierungsbildung hat auch die Haushaltsaufstellung und -planung verzögert. Der Haushalt für 2018 ist solide, aber die Planung für 2019 wenig ambitioniert. Die Investitionen drohen ins Stocken zu geraten.

Dazu gerät auch das Wirtschaftswachstum leicht ins Stottern: Der drohende Handelskrieg belastet den Außenhandel, so dass sich das Wachstum der deutschen Wirtschaft im ersten Quartal des Jahres 2018 auf 0,3 % gegenüber dem Vorquartal halbierte. Die Wirtschaft verliert an Schwung. Dabei befindet sie sich in der längsten Aufschwungphase seit 1991. Denn das BIP ist bereits das 15. Mal in Folge im Vergleich zum Vorquartal gestiegen.

Natürlich kann keine seriöse Parallele zwischen Sport und Wirtschaft gezogen werden. Doch es ist zu befürchten, dass Deutschland, wie seine Nationalmannschaft, in der Komfortzone zu behäbig wird und früher oder später von jüngeren, schnelleren und hungrigeren Wettbewerbern eingeholt wird. Auch Deutschland hat seine größte Stärke durch die Erholung nach einer essentiellen Krise erreicht.

Investoren tun daher gut daran, nach aufsteigenden Sternen zu sehen und nicht nur an Blue Chips festzuhalten.

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