Die neue italienische Regierung ist mit politischem Spektakel gestartet und hat nicht nur die EU und die politisch interessierte Öffentlichkeit in Aufregung versetzt. Auch die Kapitalmärkte haben sich von den antieuropäischen Positionen der populistischen Parteien verschrecken lassen: Die Mailänder Börse bekam Schluckauf und italienische Staatsanleihen schalteten auf Krisenmodus.
Dämmert die nächste Euro-Krise?
Das Wort Euro-Krise war nach zehn Jahren ja schon fast vergessen. Droht jetzt mit Italien als einem der Gründungsmitglieder der EU ein ähnliches Szenario wie vor wenigen Jahren in Griechenland? Oder steigt das Land vielleicht sogar aus der EU aus? (Und wie würden wir diesen Prozess dann nennen – Ixit oder Iscita?)
Diese Option haben die beiden EU-feindlichen Koalitionäre Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimiento 5 Stelle) zwar zuletzt aus dem Koalitionspapier gestrichen. Doch allein die Tatsache, dass Gedankenspiele über einen Schuldenerlass und möglichen EU-Austritt diskutiert und öffentlich wurden, hatte gereicht, um die Märkte in Aufregung zu versetzen. Nicht minder irritierend sind die Überlegungen, einen Teil der italienischen Staatsausgaben in einer Art Parallelwährung zu bezahlen.
Rücksichtslose Machtdemonstration
Manches, was derzeit in Rom ausheckt wird, ist so seltsam, dass man sich in die Zeit der ersten Amtstage des neu gewählten US-Präsidenten zurückversetzt fühlt. Und sich unbedingt daran erinnern muss, dass es sich im Laufe dessen ersten Amtsjahres als besser herausgestellt hat, ihn beim Wort oder zumindest viel ernster zu nehmen, als man es gern tun würde.
Eine rücksichtlose Demonstration seiner politischen Zielstellung hat der italienische Innenminister Matteo Salvini dieser Tage gezeigt, als er einem Schiff mit über 600 Flüchtlingen an Bord verbot, einen italienischen Hafen anzulaufen. Die – zugegeben nicht neue – Forderung Italiens, nicht mit den Flüchtlingsströmen gemäß Dublin-Verfahren alleingelassen zu werden, bekam damit eine – zugegeben neue – Aufmerksamkeit.
Schulden und noch mehr Schulden
Es ist Polemik. Und vielleicht ein Indiz dafür, wie die neue italienische Regierung mit den für die Kapitalmärkte wichtigsten Themenfeldern umgehen könnte: der ungeheuren Verschuldung und dem Euro. Denn man muss sich darüber im Klaren sein, dass sollte die italienische Regierung ernsthaft auf Konfrontationskurs mit Europa gehen – sei es im Ernst oder als taktisches Manöver – sich die Renditen und Risikoaufschläge italienischer Staatspapiere dann noch weiter erhöhen werden.
Sicherlich hatten viele Anleger italienische Staatsanleihen angesichts des politischen Pokers im Reflex abgestoßen. Doch viele teilen auch die Sorge, Italien könne den Euro verlassen und dann seine Schulden in einer neuen Lira zurückzahlen.
Kreditwürdigkeit im Fokus
Sicher ist jedenfalls, dass die Koalitionäre das Land mit politischen Ideen wie einem Grundeinkommen, einer Pauschalsteuer und einer rückgängig gemachten Rentenreform gestalten wollen – zu Milliardenkosten. Aktuell sitzt Italien bereits auf einer Schuldenquote von gut 130 % des BIP. Die Frage, ob das – vor allem strukturell bedingte – geringe Wachstum mehr Schulden zulässt, ist durchaus berechtigt. Gefährlich wird es, wenn Anleger nicht mehr oder nur zu deutlich höheren Zinsen bereit sind, das Land zu finanzieren. Der Zugang zum Kapitalmarkt könnte verloren gehen. Aktuell muss nur Griechenland höhere Risikoaufschläge als Italien zahlen. Die Renditen stiegen bis auf 2,7 % bei einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von nur 1,5 %.
Gerät die Kreditwürdigkeit Italiens in Verruf, käme es zu Auseinandersetzungen wie seinerzeit mit Griechenland. Ist es vorstellbar, dass Italiens Antieuropäer es im Falle eines Falles in Erwägung ziehen, Hilfe des Rettungsschirms ESM zu beantragen? Denn das würde bedeuten, dass sich das Land im Gegenzug zu Strukturreformen oder dem Aufsetzen von Sparprogrammen bereit erklärt. Und das dürfte so ziemlich das Letzte sein, was Regierungschef Guiseppe Conte derzeit vorschwebt. Denn schließlich seien die Diktate aus Berlin und Brüssel gemeinsam mit dem Euro ja Schuld an der italienischen Misere, so der Tenor.
Heimlicher Euro-Exit?
Also doch ein Ausstieg aus dem Euro als Hintertür? Es gibt Stimmen, die das glauben machen wollen, wie Lorenzo Codogno, Chefökonom im Wirtschaftsministerium. Ihm zufolge sei der Abschied vom Euro zwar nicht mehr offizielles Regierungsprogramm. Die in der Regierung stark vertretenen Euro-Gegner verfolgten jedoch weiterhin einen Plan B, etwa zu erkennen an ihrem Nein zu einem Referendum über einen Euro-Austritt. Dieser solle vielmehr staatsstreichartig ablaufen, wenn die Börsen geschlossen sind.
Das klingt sehr nach Verschwörungstheorie. Die dem Koalitionspapier entnommene Idee, kurzlaufende Staatsanleihen in kleinen Stückelungen herauszugeben und zur Bezahlung von Lieferanten des Staates zu verwenden, klingt allerdings auch nicht viel besser. Es könnte tatsächlich als eine Parallelwährung gedacht sein.
Es ist jedoch fraglich, ob in Italien künftig mit Schuldscheinen statt mit Euro bezahlt wird – dazu muss Vertrauen in diese „Zahlungsmittel“ bestehen. Wahrscheinlicher jedoch wären erhebliche Abschläge zum Euro. In jedem Fall sind diese Mini-BOTs genannten Schuldscheine eine zusätzliche Möglichkeit für die italienische Regierung, Schulden zu machen. Womit wir wieder bei der Frage wären: Wie viele Schulden verträgt die italienische Volkwirtschaft? Was passiert mit Europas Wirtschaft, wenn Italien in die Knie geht? Und ist ein Euro ohne Italien als drittgrößter Volkswirtschaft möglich?
Ruhe bewahren und diversifizieren
Es wäre wünschenswert, wenn sich die Situation wieder beruhigte, aber das Beispiel „Aquarius“ macht nicht sehr viel Mut. Und das Schuldenproblem bleibt bestehen. Verschiedene Kapitalmarktexperten sind der Ansicht, dass Italien auf keinen grünen Zweig kommen würde, ohne einen partiellen Schuldenerlass und/ oder die Inanspruchnahme von Mitteln aus dem ESM – mit den entsprechenden Implikationen, die wir in Griechenland gesehen haben.
Andere glauben, dass die Auswirkungen an den Kapitalmärkten gering bleiben werden. An die Krisenzeiten von 2011, als die Renditen über 7 % lagen, reichen die jüngsten Ausschläge tatsächlich nicht heran. Damals spekulierten Investoren darauf, dass Italien mit seinen hohen Schulden nach Griechenland, Portugal und Irland ebenfalls ein Kandidat für den Euro-Rettungsschirm sein könnte. Heute indes stehen die übrigen PIIGS-Staaten deutlich besser da. Selbst in Griechenland sind die Rettungspakete fast schon Geschichte. Die EZB hat inzwischen den Ausstieg aus dem QE-Programm zum Jahresende beschlossen.
Die Aktienmärkte könnten allerdings bis zu einem Signal, dass auch Italien wieder auf den Pfad der EU-Tugend der Haushaltskonsolidierung zurückkehrt, volatil bleiben. Das gilt vor allem für Bank- und Versicherungstitel. Noch sind die konjunkturellen Rahmendaten in Europa günstig. Solange man als Investor nicht allein auf liquide Assets setzt, wird auch der nächste Sturm über dem Mittelmeer zu überstehen sein.