01 | 2019 Fokus

Der Euro: Wirtschaftsimpuls oder Sündenbock?

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Insgesamt, das soll gleich zu Beginn festgehalten werden, ist der Euro ein Erfolgsprojekt. Auch wenn die Vorbehalte gerade in Deutschland, wo die Menschen ihre identitätsstiftende Wirtschaftswunderwährung nicht aufgeben wollten, nicht gering waren. Angst ging um, die stabile und hochangesehene D-Mark gegen eine Weichwährung tauschen zu müssen.

Doch entgegen dieser und anderer Vorbehalte ist der Euro am 01. Januar 1999 stotterfrei in elf Staaten als Buchwährung gestartet, zum 01. Januar 2002 dann als Bargeld. Heute zahlt man in 19 Ländern der Europäischen Union mit nur einer Währung – von Lissabon bis Tallinn und von Dublin bis Nikosia. Die zunächst elf Länder fixierten ihre Wechselkurse, gründeten eine gemeinsame Zentralbank und beschlossen den Rahmen einer gemeinsamen Währungspolitik.

Jeder, der sich noch an den Franc, Schilling oder die Pesete erinnern kann, freut sich, im Urlaub ohne Kopfrechenakrobatik durchzukommen. Doch das ist eher nettes Beiwerk. Tatsache ist, dass die deutsche Exportwirtschaft vom Euro profitiert. Die Exporte verbilligten sich, weil teure Kurssicherungsgeschäfte und tatsächliche Wechselkursverluste entfielen. Auch war die harte D-Mark für den Export keineswegs sonderlich förderlich gewesen. So hat der deutsche Exportüberschuss von 1999 bis heute sukzessive zugenommen, von 59 Mrd. Euro auf 245 Mrd. Euro.

Das war möglich, weil sich der Euro in den ersten Jahren mit Erfolg etablierte: Die neue Währung war überraschend stabil, die Inflation blieb niedrig. Der Euro wurde zur weltweit zweitwichtigsten Währung nach dem US-Dollar. In der Eurozone nahm der Warenaustausch wie erwünscht und erwartet nach Wegfall der Wechselkursrisiken und -kosten zu. Laut Eurostat erreichten 2017 neben Deutschland auch Belgien, die Tschechische Republik, Frankreich, Spanien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen und Großbritannien ein Exportvolumen in die EU von über 100 Mio. Euro. Zypern, Polen, Bulgarien, Litauen, Rumänien und die Slowakei verzeichneten ein Exportplus von über 10 % pro Jahr zwischen 2003 und 2017, in der Tschechischen Republik, Slowenien, Estland, Ungarn, Kroatien und den Niederlanden lag der jährliche Zuwachs beim Export in die EU immerhin zwischen 5 und 10 %.

Vor allem südeuropäische Länder, die sich bis dato nur mit hohen Zinssätzen refinanzieren konnten und traditionell unter einer hohen Inflation litten, profitierten von den neuen günstigen Zinsen, die jedoch zu einer hohen Verschuldung verleiteten. Die Möglichkeit, die nationale Währung bei geringerer Wettbewerbsfähigkeit abzuwerten, war ebenso entfallen wie einer drohenden Überhitzung durch Zinserhöhungen zu entgehen. Lange jedoch ignorierten die Märkte die problematischen Entwicklungen in einzelnen Regionen und zeigten sich tolerant.

Die erste echte Belastungsprobe beschworen ausgerechnet Deutschland und Frankreich bereits 2003 herauf – große Volkwirtschaften, ideelles Zentrum der Union und als solche Vorbilder: Sie verstießen gegen die sogenannten Maastricht-Kriterien.

Denn bei der Einführung des Euro gab es zwei Problemfelder, die aus politischen Gründen weitgehend übergangen wurden:

  1. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft sind wirtschaftlich nicht gleich weit entwickelt.
  2. Es gibt keine politische Einigung auf europäischer Ebene, die es erlauben würde, dieses Ungleichgewicht zu steuern, das heißt, es gibt zwar eine monetäre, aber keine politische Einigung.

Ein Schritt, um dieser Problematiken Herr zu werden, war deshalb bereits im Vorfeld und Hinblick auf die Einführung einer Gemeinschaftswährung im Vertrag von Maastricht niedergeschrieben worden. Die „Maastricht-Kriterien“ deckelten das Staatsdefizit bei 3 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) und begrenzten die Staatsverschuldung bei 60 % des BIP. Außerdem wurden in Maastricht die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und deren Aufgabe, die Preisstabilität zu wahren, beschlossen sowie eine Einigung auf das Verbot, die Staatsfinanzen per Notenpresse zu sanieren, erzielt.

Weiterhin wurde im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgehalten, dass die heute als „Defizitsünder“ bezeichneten Länder, die die Maastricht-Kriterien nicht einhalten, mit finanziellen Sanktionen belegt werden können.

2003 kam es nicht zu Sanktionen gegen Deutschland und Frankreich. Kein Wunder, dass sich bald auch andere Staaten diese schlechte Angewohnheit des Vertragsbruchs herausnahmen.

Allerdings startete die Währungsunion bereits mit einem noch massiveren Geburtsfehler, indem sie in mehreren Bereichen die eigenen Prämissen von Beginn an verletzte. Unter den elf Ländern, die von Anfang an mit dabei waren, befanden sich auch Belgien und Italien, deren Staatsverschuldung sich schon damals auf rund das Doppelte des Referenzwertes von 60 % des BIP belief. Doch es war damals offenbar undenkbar, zwei der Gründungsmitglieder der EU außen vor zu lassen.

Griechenland konnte der Beitritt nach diesem offensichtlichen Fauxpas nicht mehr verwehrt werden – dass die Regierung darüber hinaus das Haushaltsdefizit gegenüber Brüssel heruntergemogelt hatte, kam im Nachhinein erschwerend hinzu.

In Folge der Finanzkrise von 2008 offenbarten sich diese Mauscheleien als höchst problematisch. Portugal, Spanien, Irland, Italien und Griechenland konnten ihre Staatsschulden nicht mehr refinanzieren. Die bislang trägen Märkte reagierten unerbittlich, so dass die Staaten internationale Finanzhilfen benötigten. Denn es war nicht sicher, wie der Euro (und die EU) mehrere Staatspleiten verkraften würde. Politisch problematisch wurden die Reformen, die notwendigerweise im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung verlangt wurden. Sie erweckten insbesondere in Griechenland den Eindruck, dass der Staat seine Souveränität nach Berlin hatte abgeben müssen.

Das politische und wirtschaftliche Ungleichgewicht in der EU machte es auch nach der Schuldenkrise nicht einfacher, notwendige Reformen für den Euro auf den Weg zu bringen. Zwar wurden der permanente Rettungsfonds ESM sowie eine Bankenunion für eine gemeinschaftliche Bankenaufsicht und die Abwicklung maroder Großbanken eingerichtet.

Doch mehr wollen die Länder derzeit nicht für ihre Gemeinschaftswährung tun. Es gibt keine gemeinsame Finanzpolitik, keine Bankeneinlagensicherung und auch keine Bereitschaft, weitere Souveränität Richtung EU zu verlagern. Der Budgetstreit mit Italien zeigte unlängst, dass nationales Eigeninteresse auch in einer Europäischen Union weiterhin überwiegt und es mit der finanzpolitischen Verantwortung für Europa nicht überall gleich weit ist. Auch das jüngste Treffen der EU-Finanzminister Ende 2018 hat bei den beschlossenen Reformen zur Stärkung der Währungsunion nur den erwarteten Minimalkonsens erzielt.

Die Gemeinschaftswährung ist leider auch weiterhin der optimale Sündenbock für diverse nationale Probleme, von der wirtschaftlichen Stagnation und Arbeitslosigkeit im Süden bis hin zu den Nullzinsen für deutsche Sparer. Ein ernst zu nehmendes, vor allem politisches Problem, wenn in den Gedanken der Bürger die Nachteile gegenüber weniger fassbaren Vorteilen überwiegen.

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