Demokratie ist so eine Sache. Sie funktioniert nur, wenn möglichst alle mitmachen. Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D. und heutiger Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, referierte auf dem Herbstsymposium der Volksbank in Solingen darüber, wie es um die Demokratie in Deutschland und Europa bestellt sei.
Eine berechtigte Frage, wenn man sich die teils erstaunlichen Wahlergebnisse der letzten Jahre in Europa, aber auch anderen Regionen weltweit anschaut. Die schwächelnden Ergebnisse der großen Parteien der Mitte, das Aufkommen von Populisten und das Erstarken rechter wie linker Außenbereiche liegen im Trend.
Nicht selten gewinnen diejenigen Parteien dazu, die ihre Gefolgschaft zum Urnengang motivieren können. Und das sind in der Regel die eher Unzufriedenen. Sie haben einen stärkeren Drang zur Veränderung. Wem es gut geht, der sieht möglicherweise weniger Notwendigkeit, etwas ändern zu wollen. So stellt Lammert auch fest: „Es geht uns erstaunlich gut, besser als jeder Generation vor uns.“
Bewusst provozierte er mit dem folgenden Vergleich: Wenn 1,2 Mio. Deutsche Mitglied einer politischen Partei sind, aber 19 Mio. Deutsche Mitglied des ADAC, ist das Auto den Deutschen dann wichtiger als ihre Demokratie? Seit dem Fall der Mauer vor 30 Jahren habe sich die Zahl der Parteimitglieder in Deutschland halbiert. Es seien nicht Bürgerkriege und Putsche, die die Demokratien von der Landkarte wischten. Die Demokratie sterbe durch Wahlen, betonte Lammert und zitierte Barack Obama aus dessen Abschiedsrede als scheidender US-Präsident: „Die Demokratie ist immer dann am meisten gefährdet, wenn die Menschen sie für selbstverständlich halten.“
Es mag auch sein, dass es heute trotz oder gerade wegen der ewig präsenten digitalen Medien umso schwieriger geworden ist, sich neutral zu informieren. Viele nutzen diese Medien, um ihre eigenen Meinungen lautstark kundzutun und sich dabei auf das Recht zur freien Meinungsäußerung zu berufen. Gleichzeitig schlagen sie verbal auf Andersdenkende ein, denen sie genau dieses Recht absprechen. Mit Ratio und moderaten Tönen wird keiner mehr in der Kakofonie extremer Ansichten und Meinungen wahrgenommen.
Ein besonderes Phänomen, welches dabei immer öfter sichtbar wird, ist die „Schweigespirale“, deren Theorie bereits in den 1970er Jahren von der Gründerin des Institutes für Demoskopie (IfD) in Allensbach, Prof. Dr. Elisabeth Noelle-Neumann, formuliert wurde. Danach haben Menschen Hemmungen, sich gegen eine vermeintliche Mehrheit zu äußern, selbst wenn sie der eigenen Meinung widerspricht. Und so schweigt die eigentliche Mehrheit, wodurch die Minderheitsmeinung immer stärker wahrgenommen und letztlich als öffentliche Mehrheitsmeinung akzeptiert wird. Die Schweigespirale stand in der Medienwirkungsforschung für die Hypothese der „mächtigen Medien“, der „vierten Gewalt“. Heute untersuchen Studien die Weiterentwicklung der Theorie durch die sozialen Medien. Diese sind geradezu prädestiniert, die öffentliche Meinung insbesondere der jüngeren Generationen und auch jenseits der Bildungsschicht zu beeinflussen.
So sollen ausländische Mächte versucht haben, die US-Wahlen durch sogenannte „Bots“ – Softwareprogramme, die massenhaft Kommentare und Posts in sozialen Medien verbreiteten – zu beeinflussen. Längst haben Parteien die Möglichkeiten dieser Kurznachrichten zur Kommunikation erkannt. Das Lieblingsmedium des aktuellen US-Präsidenten ist der Kurznachrichtendienst Twitter.
Was hat das nun alles mit den Kapitalmärkten zu tun? Nun, Politik beeinflusst die Wirtschaft und wenn die Politik unberechenbar wird, dann führt dies zumindest kurzfristig zu Irritationen der Märkte. Derzeit wird die anhaltende Stimmung an den Märkten durch Unsicherheiten geprägt, deren Ursprung nicht selten ein politischer ist. Als Beispiele seien das unsägliche Gezerre um den Brexit oder die politischen Kapriolen des US-Präsidenten genannt. In beiden Fällen könnten Wahlen dem Chaos ein Ende bereiten – wenn die Menschen denn auch wirklich wählen gehen und sich echte Mehrheiten durchsetzen.
In diesem Sinne: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen sie auch leben.