10 | 2018 Editorial

Aus Schaden wird man klug?

Foto: © Gajus - Fotolia

Zehn Jahre nach Lehman wird allenthalben Resümee gezogen. Neben frischen Krisen ist es auch das Erbe der Krise, das heute für Herausforderungen sorgt.

Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers vor zehn Jahren war das Fanal der Finanz- und Wirtschaftskrise. Deren Nachwirkungen aber haben bis heute Auswirkungen auf die Finanzmärkte. So griffen die großen Zentralbanken zu ungewöhnlichen Maßnahmen wie Negativzinsen und dem Aufkauf von Staatsanleihen in großem Stil, um Inflation und Konjunktur zu befeuern. Die Folgen des Endes dieses „Quantitative Easing“ durch die EZB beschreibt unser aktuelles Fokus-Thema in diesem Monat.

Eine Reihe von Widersprüchen ergibt sich beim Rückblick auf die damalige Krisenbewältigung:

  • Der offensichtlichste ist wohl das Unterfangen, die ursprüngliche Kreditkrise mit weiteren Schulden bekämpft zu haben. Wieder steigende Zinsen und ein Ende des Wirtschaftsaufschwungs könnten diese Schuldenberge zu einem neuen Problem werden lassen.
  • Nach der geplatzten Blase am US-Immobilienmarkt hat die Politik des billigen Geldes zu neuen Verwerfungen an den Finanzmärkten und beispielsweise in Deutschland zu aufgeheizten Immobilienmärkten geführt.
  • Der Weg aus der Krise hat mehr Ungleichheit hervorgebracht – so etwa auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF) in einem Beitrag zu den Folgen der Finanzkrise beschrieben: Dort, wo viele Arbeitsplätze verloren gingen, sei die bereits vor der Krise existierende Ungleichheit verstärkt worden. Dies führte zu Enttäuschungen gegenüber den etablierten politischen Parteien und verstärkte die Neigung zu Protektionismus.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die politischen Geschehnisse in der Türkei, in Italien und jüngst die Wahlen in Brasilien noch einmal in einem anderen Licht. Wo Populismus auf dem Vormarsch ist, wird etablierter wirtschaftlicher Sachverstand zurückgedrängt. Und das verstärkt die Sorge vor einem Nachlassen des weltwirtschaftlichen Elans, wie der IWF Anfang Oktober in seinem Economic Outlook konstatierte.

Zwar erholt sich der Euroraum nur langsam, aber stetig. Das Bruttoinlandsprodukt sollte 2018 bei 2,0 % liegen, 2019 sind noch einmal 1,9 % drin. Die Inflation lag im August im von der EZB angestrebten Bereich von 2,0 %.

Die weltweite Konjunktur indes verlangsamt sich. Der IWF hat die Aussicht auf das globale Wachstum für 2018 und 2019 von 3,9 % auf 3,7 % heruntergeschraubt. Grund dafür sind Risiken, die sich aus den verschiedenen aktuellen Krisen ergeben. Der IWF führt dabei neben den Auseinandersetzungen um Handel und Zölle auch die sich verschärfenden Finanzierungsmöglichkeiten durch anziehende Zinsen für Schwellen- und Entwicklungsländer sowie den gestiegenen Ölpreis an. IWF und das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute drücken auch für Deutschland die Konjunkturerwartungen: Bei uns ist es zudem der Fachkräftemangel, der bereits Prozentpunkte des Wirtschaftswachstums raubt.

Die EZB bereitet derweil den Übergang zu einer Nach-Krise-Normalität vor, den die US-Notenbank mit ihren acht Zinsschritten seit Ende 2015 bereits vollzogen hat. Ob die beiden wichtigen Notenbanken mit ihrem Timing richtig liegen, oder – wie der IWF mahnt – etwa wegen der drohenden Handelskonflikte gegebenenfalls zu plötzlichen Kurswechseln gezwungen sein könnten, bleibt abzuwarten. Das letztere Szenario liefe wohl nicht ohne Risiken für die Finanzmärkte ab.

In diesem Sinne: Vorsicht wird zum Zeichen von Klugheit, wo das „Establishment“ zurückgedrängt und die Welt weniger berechenbar wird.

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