Schweigespirale

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Prof. Dr. Dr. h.c. Elisabeth Noelle-Neumann (1916-2010), Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Instituts für Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, prägte den Begriff und das Modell der Schweigespirale.

Danach kann die Meinung einer tatsächlichen Minderheit, wenn sie von dieser nur oft und laut genug vorgetragen wird, von der Öffentlichkeit als vermeintliche Mehrheitsmeinung akzeptiert werden, weil sich kein Einzelner mehr traut, gegen diese zu opponieren.

Genau das scheint in Großbritannien passiert zu sein. Oder viele insbesondere junge Briten haben das Referendum einfach nicht ernst genug genommen. Zur Wahl gingen insbesondere diejenigen, die für den Austritt waren. Diejenigen, die den Verbleib befürworteten, eher nicht. Dafür spricht die teils deutliche Diskrepanz zu zuvor erhobenen Umfragen der Meinungsforschungsinstitute. Gelebte Demokratie funktioniert eben nur dann, wenn man sich auch beteiligt.

Nun müssen die vielen vorwiegend jungen Brexit-Gegner die Suppe auslöffeln, die ihnen die vorwiegend älteren Befürworter eingebrockt haben. Ironischerweise werden diese die langfristigen Folgen des EU-Austritts kaum noch erleben. Die Folgen des Votums behandelt unser Fokus-Thema des Monats 07|2016.

Zum Schweigen werden auch Oppositionelle in der Türkei gebracht. In einem erschreckenden Ausmaß nutzt Präsident Erdogan den gescheiterten Putschversuch ungenannter Militärs, um mit Gegnern und unliebsamen Personen im Land aufzuräumen.

Die Aussicht auf einen EU-Beitritt scheint nicht weiter verlockend zu sein, Menschen- und Bürgerrechte werden durch den ausgerufenen Ausnahmezustand einfach aufgehoben. Die Türkei ist dabei, sich mit großen Schritten von einem modernen, demokratischen Staat westlicher Prägung zu entfernen. Anscheinend weiß der Macht-Politiker Erdogan nur zu gut um die strategische Bedeutung der Türkei aufgrund ihrer geografischen Lage als Brücke zum nahen Osten.

Für die Finanzmärkte bedeutet die aktuelle Entwicklung in der Türkei einen weiteren geopolitischen Krisenherd. Es zeichnet sich nicht ab, dass die Unsicherheit der politischen und wirtschaftlichen Situation absehbar abnehmen wird. Für Vermögensverwalter gilt es also Mittel und Wege zu finden, damit umzugehen.

Stabilität ist dabei die oberste Maxime. Nicht beeindrucken lassen sollte man sich von allzu laut vorgetragenen Meinungen. Besser man bildet sich seine eigene.

In diesem Sinne: Bleiben Sie kritisch!

Brexit: Was nun?

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Am 23. Juni stimmten ca. 52 % der am Referendum teilnehmenden Briten für den Austritt aus der Europäischen Union. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist damit nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft besiegelt, aber noch nicht offiziell erklärt. Als Konsequenz kündigte Premierminister David Cameron seinen Rücktritt an, seine Nachfolge übernahm nun die Brexit-Gegnerin Theresa May. Die weltweiten Börsen reagierten nach der Verkündung zunächst panisch. Der DAX verlor zwischenzeitlich rund 1.000 Punkte, das Britische Pfund fiel gegenüber dem US-Dollar auf den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren.

Mittlerweile haben sich die Märkte wieder beruhigt und der DAX hat wieder in etwa das Niveau vor dem Brexit erreicht. Die ganz große Katastrophe ist bisher ausgeblieben. Es ist vor allem Unsicherheit, die dieser Tage die Märkte beherrscht. Kein Wunder, denn die Briten sind nach dem für viele Europäer wie Briten überraschenden Ergebnis offenbar planlos. Die bisherigen Protagonisten des Brexit, Nigel Farage und Boris Johnson, zogen sich nach gewonnenem Votum umgehend zurück, Premier Cameron erklärte seinen Rücktritt.

LONDON ALS OFFSHORE-ZENTRUM?

Seine jüngst eingesetzte Nachfolgerin Theresa May steht nun vor einer Mammutaufgabe, die sie selbst nie gewollt hat. Einen Plan schien nur der ehemalige Schatzkanzler George Osborne in der Tasche zu haben, der jedoch mit dem Amtsantritt Mays seinen Platz räumen musste. Sein Ziel: Den Finanzplatz London retten, indem er das Vereinigte Königreich zur Steueroase vor den Toren des Europäischen Kontinents macht. Er stellte eine Senkung der britischen Unternehmensteuer von derzeit 20 auf unter 15 % in Aussicht. So wollte er eine kurzfristig drohende Rezession abwenden, die britische Verhandlungsposition gegenüber der EU stärken und langfristig die Attraktivität Britanniens für ausländische Investoren steigern. Während Osborne seine Vision als „superwettbewerbsfähigen“ Wirtschaftsstandort beschrieb, sprach Investorenlegende George Soros vom künftig führenden „Offshore-Zentrum der Welt“.

Im Auge des Sturms steht der Finanzplatz London. Davon könnte nicht zuletzt Frankfurt am Main profitieren. Für viele internationale Banken könnte die Main-Metropole die Alternative zu London sein, wenn Britannien die EU verlässt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der Londoner LSE zusätzlich an Brisanz. Die notwendige 60-%-Zustimmung der Aktionäre ist fast erreicht. Mit zwei Sitzen in London und Frankfurt könnte die Börse ein verbindender Brückenkopf zwischen Insel und Kontinent werden und zusätzliche Bedeutung gewinnen. Experten rechnen bereits mit steigenden Immobilienpreisen in Frankfurt am Main.

DROHENDE IMMOBILIENBLASE

Die Immobilienpreise in London sind seit Jahren extrem hoch, nicht wenige Analysten sprechen bereits von einer Blase. Nun droht die Unsicherheit nach dem Brexit-Votum der Nachfrage die Luft zu nehmen. Internationale Investoren ziehen ihr Kapital ab, wie das fallende Pfund belegt. Insbesondere Immobilienfonds bekommen ein Liquiditätsproblem, so mussten bereits die Anbieter Aviva, Standard Life und M&G Investments Fonds schließen, um Notverkäufe aus dem Bestand zu vermeiden. Parallelen zur Sub Prime-Krise drängen sich auf. Bricht der britische Immobilienmarkt ein, hätte dies massive Folgen für die britische Wirtschaft, denn die meisten britischen Unternehmen nutzen Immobilien als Sicherheit bei der Aufnahme von Fremdkapital. Fällt deren Wert, könnten die Finanzierungen und damit die kleineren und mittelständischen Unternehmen selbst gefährdet sein.

FOLGEN FÜR DIE VERMÖGENSVERWALTUNG

Wie in unsicheren Zeiten üblich werden verstärkt „sichere Häfen“ nachgefragt. Gold, bonitätsstarke Staatsanleihen, US-Dollar und Yen profitieren von einer steigenden Nachfrage. Gleichzeitig geraten Unternehmen unter Druck, die stark vom Britischen Pfund und/oder von britischen Immobilien abhängig sind. Vor allem Aktien aus dem Finanzdienstleistungssektor brachen ein. Nachdem der erste Schock nach dem Votum verdaut ist, dürfte eine Entspannung dieser Situation erst dann möglich werden, wenn das genaue Prozedere des EU-Austritts verhandelt und vereinbart wurde. Solange die Unsicherheit diesbezüglich anhält, dürfte es kaum eine Erholung geben. Uneinheitlich fällt die Bewertung internationaler Konzerne mit Produktionsstätten in Großbritannien aus. Hier stehen kurzfristige Wertverluste in lokalen Assets mittel- bis langfristig günstigeren Kosten gegenüber.

Insgesamt verstärkt der Brexit die Niedrigzinsphase. Die allgemeine Unsicherheit bremst die Konjunktur und zwingt die EZB damit weiter, den Leitzins bei Null zu halten und Strafzinsen auf Bankeinlagen zu nehmen. Bundesanleihen werden stärker nachgefragt, was deren Renditen weiter senkt. Höhere Zinsen dürfte es nur auf kommende Emissionen britischer Staatsanleihen geben, nachdem die US-Ratingagentur Standard & Poor’s Großbritannien von „AAA“ auf „AA“ herunterstufte und auch Konkurrent Fitch das Bonitätsrating der Briten von „AA+“ auf den drittbesten Wert „AA“ senkte. Wohlgemerkt kein schlechtes Rating, Nachbar Frankreich wird ähnlich bewertet.

AUSBLICK

Was zunächst bleiben wird, ist die Unsicherheit. Der Prozess des Austritts muss nun verhandelt und organisiert werden. Handelsabkommen müssen ersetzt und neu geschlossen werden. Das geschieht nicht von heute auf morgen, zumal nicht einmal auszuschließen ist, dass der Austritt doch noch abgesagt wird. So prüft Schottland schon den Austritt aus dem Vereinigten Königreich und den eigenständigen Verbleib in der EU. Und in England werden nun die jungen Bürger wach, die den Brexit nie gewollt, das Referendum aber offenbar nicht ernst genug genommen haben. Die größte Gefahr ist nach wie vor, dass der Brexit weitere Mitgliedstaaten ermutigt, sich aus den unterschiedlichsten Motiven von der EU abzuwenden. Sollten die Vorteile der Binnenwirtschaft und der Währungsunion auf breiter Front in Frage gestellt werden, hätte dies fatale Folgen – auch für Deutschland.

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