Will the Brexit break it? Die Risiken für GB und EU

 

Was zunächst als politischer Schachzug des britischen Premiers Cameron abgetan wurde, könnte Briten und Europäern nun auf die Füße fallen – und zwar nachhaltig. Am 23. Juni 2016 entscheiden die Briten per Referendum über ihren Verbleib in der EU. Die Angst davor hat das britische Pfund bereits auf Talfahrt geschickt. Die tatsächlichen Folgen haben sich jedoch viele möglicherweise noch gar nicht vor Augen geführt.

Auch ohne das Schreckensszenario Brexit haben die Märkte weltweit einen mehr als durchwachsenen Start in das Jahr 2016 hingelegt. Mehr als unwahrscheinlich scheint es, dass es als ein erfolgreiches Börsenjahr in die Annalen eingeht. Die Rohstoffmärkte sind abgestürzt, die Schwellenländer stehen massiv unter Druck, Chinas Wachstum ist zweifelhaft und Fed-Chefin Janet Yellen offenbar doch noch nicht vollends davon überzeugt, dass die Krise in den USA überstanden ist.

Draghis überraschende Zinssenkung auf Null macht deutlich, dass an eine Zinswende in Europa langfristig nicht zu denken ist. Gleichzeitig gilt offenbar die altbekannte Kausalkette aus der Volkswirtschaftslehre „Zinsen runter, Aktien rauf“ nicht mehr. Kapitalgeber sind verzweifelt auf der Suche nach Anlagealternativen, die wenigstens ein Mindestmaß an Rendite bieten. Die EU erinnert manchmal ein wenig an einen Luxusliner, der ungebremst durch ein riesiges Feld von Eisbergen schlingert. Bisher hat es nur Schrammen gegeben, doch der nächste Eisberg kommt immer schneller in Sicht und noch scheint Wenigen klar zu sein, was hier unter der Oberfläche droht.

Das hatte sich auch Cameron sicher anders vorgestellt, als er bei der letzten Unterhauswahl ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft ankündigte. Nun ist ein Rückzug für ihn unmöglich, das Datum 23. Juni 2016 steht und das europäische Immigrantenproblem erzeugt plötzlich eine Stimmung, in welcher der Ausgang der Abstimmung alles andere als klar ist. Aktuelle Umfragen deuten eine äußerst knappe Entscheidung in die eine oder andere Richtung an. Dabei wollte Cameron eigentlich nur den Druck erhöhen, um die EU nach britischen Vorstellungen reformieren zu können und gleichzeitig britischen EU-Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Heute zeigt sich, wie hoch er gepokert hat. Ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU hätte sowohl für das Vereinigte Königreich als auch für die Europäische Wirtschaftsunion massive Folgen.

Für die Briten wären die eingesparten Beiträge an Brüssel dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Verlassen des europäischen Binnenmarktes würde den Handel mit den EU-Staaten deutlich erschweren. Mehr als die Hälfte des britischen Exports erfolgt in EU-Staaten und macht etwa 15 % des britischen Bruttoinlandsproduktes aus. Bei den Gütereinfuhren stammen ebenfalls rund 50 % aus der EU. Im Falle des Brexit müsste die britische Regierung neue Handelsabkommen mit der EU aushandeln. Dass dies weder trivial ist, noch besonders schnell geht, zeigen die zähen Verhandlungen mit den USA um das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.

Das bedeutet, mindestens kurz- bis mittelfristig wäre die britische Wirtschaft isoliert. Das britische Pfund dürfte bei einem Brexit weiter gegen den Euro abwerten und britische Produkte damit in der EU noch günstiger werden. Bereits 2015 brachten Warenexporte den Briten ein Außenhandelsdefizit von 125 Mrd. Pfund, während Dienstleistungen einen Außenhandelsüberschuss von 90,3 Mrd. Pfund brachten. Doch auch die grenzüberschreitenden Dienstleistungen, deren Zentrum die Londoner Bankenindustrie darstellt, würden durch den Brexit leiden. Internationales Kapital floss vor allem unter der Voraussetzung über die Londoner City in Investitionen auf britischem Boden, dass ein ungehinderter Zugang zum europäischen Binnenmarkt besteht.

Die vorübergehend isolierte britische Wirtschaft dürfte mindestens für zwei Jahre deutlich an Wachstum einbüßen. In der Folge würden die Schulden bei Staat, Unternehmen sowie Privathaushalten und damit das Risiko eines erneuten Crashs weiter zunehmen. Schon die letzte Finanzkrise hatte den britischen Steuerzahler nah an den Abgrund geführt.

Risiken bestehen aber nicht nur für die Briten, auch die EU hätte unter den Folgen eines Brexit zu leiden. Die Zahl der EU-Bürger würde um 13 % zurückgehen. Noch härter träfe die EU der Rückgang der Wirtschaftskraft um voraussichtlich rund 17 %. Denn mit Großbritannien würde die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU ausscheiden. Und träten die Folgen des Brexit für die britische Wirtschaft wie befürchtet ein, würde dies auch bedeuten, dass die Nachfrage der Briten nach Waren und Dienstleistungen aus der EU stark zurückginge und Exporte ins Vereinigte Königreich durch höhere Kosten belastet würden.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung prognostizierte allerdings in einer eher langfristigen Vorausschau bis 2030 relativ geringe Auswirkungen eines BrexitS. Demnach ginge das BIP nur um 0,1 % bis knapp 0,4 % zurück. Die regionalen Unterschiede wären jedoch erheblich, so verlöre Irland beispielsweise bis zu 2,7 % seiner Wirtschaftskraft, Deutschland nur 0,1 % bis 0,3 %. Hier werden Auswirkungen vor allem für die deutsche Automobilindustrie erwartet.

Das eigentliche Risiko ist aber ein anderes: Das Referendum ist kein rein britisches Thema. Auch in anderen europäischen Ländern werden nationalistische Strömungen stärker. Die eigentliche Gefahr des BrexitS ist, dass er Vorbildcharakter für weitere Staaten haben und den Beginn des Zerfalls des gemeinsamen Binnenmarktes markieren könnte.

Not amused

Bild: © Leonid Andronov – Fotolia

„Not amused“ dürfte die britische Queen gewesen sein, als sie äußerst medienwirksam vor den Karren der Brexit-Befürworter gespannt wurde.

Die britische Boulevardzeitung „The Sun“ titelte am Mittwoch: „Queen backs Brexit“, sie unterstütze also den Austritt Großbritanniens aus der EU. Ein angeblicher Insider wollte gehört haben, wie sich die Queen bei einem offiziellen Mittagessen mit Ex-Vizepremier Clegg eindeutig geäußert habe. Die Aufregung war groß, denn das britische Königshaus muss sich in politischen Fragen neutral verhalten. Das Dementi kam dann auch prompt und deutlich.

Die möglichen Folgen des BrexitS behandeln wir ausführlich in unserem Fokus-Thema des Monats 03|2016. Dass der eventuelle Brexit eine so große Rolle spielt, hat vor allem mit Angst zu tun. Angst vor wirtschaftlichen Abhängigkeiten, vor Besitzverlust und vor allem vor einer großen Zahl von Immigranten, die in ihrer Not in das wohlhabende Europa strömen. Diese Angst ist kein britisches Problem, sondern in ganz Europa verbreitet. Wohin man schaut, werden nationalistische Tendenzen und rechtspopulistische Parteien stärker. Die Schließung der Balkanroute ist nur eines von vielen Beispielen.

Angst regiert derzeit auch die Kapitalmärkte. Mit Vernunft oder Logik hat die Entwicklung der Aktienkurse nur noch wenig zu tun. Bestes Beispiel: Die Achterbahnfahrt des DAX nach der überraschenden Zinssenkung der EZB auf Null. Erst schossen die Kurse nach oben, dann folgte die Ernüchterung und die Kurse fielen wieder. Überhaupt sind die Aktienkurse derzeit eher ein Indikator der allgemeinen Gefühlslage, wobei sich Optimismus und Pessimismus ständig abwechseln. Mit substanziellen Unternehmenswerten, echter Wirtschaftskraft und Investitionen in künftige Gewinne hat das nicht viel zu tun. Viele Unternehmen sind an der Börse fundamental unterbewertet. Dabei ist der Aufschwung der deutschen Wirtschaft nach einer jüngsten Prognose des Kieler Instituts für Weltwirtschaft intakt. Das Wachstum des BIP 2016 prognostizieren die Kieler mit 2,0 %.

Offenbar angstfrei scheint Carsten Kengeter zu sein. Der Chef der Deutschen Börse strebt trotz drohenden BrexitS völlig unbeeindruckt die Fusion mit der Londoner Börse an und will sogar den Geschäftssitz des neuen Konzerns auf die Insel verlegen. Das Ziel ist nicht weniger, als zu den zwei weltweit führenden Unternehmen in jedem der besetzten Geschäftsfelder zu werden. Wo das nicht möglich scheint, wird rigoros abgespalten. So veräußerte die Deutsche Börse die 2007 erworbene International Securities Exchange (ISE) jüngst für 1,1 Mrd. US-Dollar an die NASDAQ. Lassen Sie uns ein Beispiel an Herrn Kengeter nehmen: Folgen wir nicht unserer Angst, sondern unseren Visionen!

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