Seit 30 Jahren ist der DAX nun schon der Index für deutsche Aktien. Nicht, dass es davor keine Indikatoren für die Entwicklungen an den vielen regionalen westdeutschen Börsen gegeben hätte. Im Gegenteil – es fehlte in dem Nebeneinander von Bank- und Zeitungsindizes jedoch an einem Leittier.
Kein Kuss für das Leittier
Auf Initiative der Frankfurter Börse, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wertpapierbörsen (ADW) und der Börsen-Zeitung wurde der Deutsche Aktien Index entwickelt, der den Namen DAX erhielt. Einfach, prägnant und im deutschen Sprachraum mit einem sympathischen Tier assoziiert. Allemal besser als eine der möglichen Namensalternativen, die auf dem sperrigen Wort „Kursinformationssystem“ beruhte, das zu KISS zu werden drohte.
Der DAX wurde am 1. Juli 1988 eingeführt und rückwirkend zum Jahreswechsel 1987/88 auf 1.000 Indexpunkte gesetzt. Seitdem bildet er sekündlich die Entwicklung der 30 größten und umsatzstärksten Unternehmen am deutschen Aktienmarkt ab. Deren Bewertung ist in diesen 30 Jahren um rund 1.300 % gestiegen. Ein Erfolg?
Repräsentativ, stabil, regelbasiert, transparent
Die DAX-Mutter Deutsche Börse betont die hohe Verlässlichkeit des Index: Ein häufiger Wechsel von DAX-Mitgliedern würde den Index auf längere Sicht weniger vergleichbar machen. Die hohe Kontinuität der vertretenen Unternehmen sei ein Zeichen für die angestrebte Stabilität eines Index. Auch nach 30 Jahren sind immerhin zwölf der „Gründungsmitglieder“ noch dabei: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Commerzbank, Deutsche Bank, Lufthansa, Henkel, Linde, RWE, Siemens und Volkswagen.
Repräsentativ, stabil, regelbasiert, transparent – das sind unter anderem die Werte, für die der DAX nach eigener Aussage verbindlich steht. Dazu wird alle vier Monate die Zusammensetzung des DAX überprüft. Im September, wenn es wieder soweit ist, könnte es diesmal für eines der „Gründungsmitglieder“ eng werden. Der traditionelle DAX-Wert Commerzbank gilt als Wackelkandidat und könnte durch den Finanzdienstleister Wirecard ersetzt werden.
Commerzbank oder Wirecard
Entscheidend für die Aufnahme in oder das Ausscheiden aus dem DAX sind das gehandelte Volumen an der Deutschen Börse und die Marktkapitalisierung der Aktien im Streubesitz. Das sind jene Aktien, die weder das Unternehmen selbst hält, noch Großaktionäre zu mehr als 5 %. Seit 2006 gibt es zudem eine Kappungsgrenze: Einzelne Titel dürfen ein Maximalgewicht von 10 % haben, um den Index nicht unzulässig zu verzerren.
Aber ist es nicht egal, ob nun die Commerzbank oder Wirecard im DAX vertreten sind? Nicht unbedingt. Kritiker bemängeln, dass die Auswahl von lediglich 30 Blue Chips die Entwicklung des Deutschen Aktienmarktes nicht relevant genug abbilde.
Sie verweisen etwa auf den US-amerikanischen Index S&P 500, dessen wesentlich breitere Aufstellung sich bereits am Namen ablesen lässt: Hier werden für die Indexerstellung die Kurse von 500 US-Unternehmen herangezogen.
30 oder 500 – wie viele Aktien braucht ein Index?
Von der Deutschen Börse hingehen heißt es, die Zusammensetzung des DAX repräsentiere rund 80 % der Marktkapitalisierung des Prime Standard; die Wertentwicklung des Zielmarktes werde also durch den Index bestmöglich abgebildet. Ein weiterer Kritikpunkt an der Zusammensetzung ist, dass die aktuelle Gewichtung der Branchen im DAX die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft nicht ausreichend widerspiegele.
Doch es gibt ja noch die anderen Mitglieder der DAX-Familie: Den MDAX und SDAX mit bisher jeweils 50 Unternehmen mit mittlerer und geringer Marktkapitalisierung sowie den TecDAX für Technologieunternehmen. Tatsächlich gehören unglaubliche 3.513 Indizes zur DAX-Familie, davon 859 Aktienindizes.
Neues von der DAX-Familie
Hier erwarten Marktteilnehmer ab September nicht nur Veränderungen bei der Zusammensetzung der Indizes. Vielmehr sollen nach US-amerikanischem Vorbild die Trennung zwischen Technologieunternehmen und klassischen Unternehmen wegfallen und somit Gesellschaften des Technologiesegments sowohl im DAX als auch im MDAX beziehungsweise SDAX vertreten sein. Analysten gehen davon aus, dass die Schwankungsbreite der Indizes damit zunehmen werde. Umgekehrt werden Anteile von SAP – dem deutschen Aktientitel mit dem mit Abstand größten Börsenwert –, Infineon und der Deutschen Telekom auch im TecDAX gelistet sein.
Außerdem soll das möglich werden, was dem DAX weiterhin verwehrt wird: eine Aufstockung der Anzahl von Unternehmen, die in diesen Indizes zusammengefasst sind. Der SDAX soll dann 70 statt bisher 50 Werte umfassen, beim MDAX werden es künftig immerhin 60 statt bislang 50 Titel sein.
DAX, MDAX und SDAX bilden dann zusammengenommen die Börsenwerte von 160 Unternehmen ab. Drei Indizes müsste man im Blick haben und hätte dennoch keine vergleichbare Marktabdeckung wie sie beispielsweise der S&P 500 bietet, der Unternehmen mit hoher und geringerer Marktkapitalisierung bündelt.
Deutscher Sonderweg
Vergleicht man die internationalen Indizes, so springt vor allem die besondere Berechnung des DAX ins Auge. Denn wenn man von „dem DAX“ spricht, ist in der Regel der Performanceindex gemeint: Der Index weist nicht nur die reine Kursentwicklung seiner Aktien aus, sondern berücksichtigt zudem auch die Erträge aus Dividendenzahlungen.
Das unterscheidet ihn von nahezu allen anderen wichtigen Indizes weltweit. Denn diese spiegeln als Kursindizes die reine Kursentwicklung wider. Zwar gibt es eine Performancevariante auch beispielsweise für den Dow Jones oder S&P 500, diese sind jedoch weit weniger populär, so dass häufig Äpfel mit Birnen verglichen werden, wenn DAX und S&P 500 undifferenziert nebeneinandergestellt werden. Der konkrete Vergleich der Performanceindizes offenbart es: Während der DAX in den vergangenen zehn Jahren um 89 % zugelegt hat, sind es beim S&P 500 Total Return stolze 171 %.
Nicht ohne meine Dividende
Laut Deutscher Börse spreche für den Performanceindex, dass nur unter Einbeziehung der Dividenden die tatsächliche Wertentwicklung eines Investments vollständig wiedergegeben werden könne. Kritiker monieren, dass die vollständige Reinvestition der Dividenden für Anleger in der Regel nicht nachvollziehbar sei und der DAX damit eine höhere Rendite suggeriere als für Investoren realisierbar sei.
Im Durchschnitt überzeugend
Aller Kritik zum Trotz, der DAX hat sich seit seiner Einführung unbestreitbar zum Leitindex für deutsche Aktien entwickelt. Seine Herausgeber freuen sich über Geburtstagsmeldungen, wonach sich der Kurswert seitdem fast verzehnfacht habe. Wer auf dem Höchststand des Jahres 1988 eingestiegen sei, habe seitdem eine Durchschnittsrendite von 7,5 % pro Jahr erzielt. Dass die Wahrheit an den Aktienmärkten nicht immer so einfach ist, liegt auf der Hand.