05 | 2019 Fokus

Diversifikation in einer globalisierten Welt

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Heute schon an morgen denken? Spare in der Zeit – dann hast Du in der Not? Diese alten Konzepte haben nach Jahren wirtschaftlichen Wohlergehens wieder Konjunktur: Rückläufiges Wachstum, gepaart, verursacht und verstärkt durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China, mahnen zu Vorsicht und Vorsorge. Wer in den vergangenen Jahren das Risiko vor allem wegen der allzu mageren Rendite nicht gescheut hat, dem bietet sich nun die Gelegenheit, sich noch einmal mit den Regeln der Portfoliotheorie zu beschäftigen. Und die besagt mehr, als nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Sondern auch über andere Ernährungsformen und Transportgefäße nachzudenken.

Diversifikation reduziert das Gesamtrisiko des Portfolios

Die Kernaussage der modernen Portfoliotheorie – die bereits mehr als 75 Jahre alt ist und für die Markowitz vor fast 30 Jahren den Wirtschaftsnobelpreis erhielt – besagt, dass das Gesamtrisiko eines Portfolios kleiner ist als die Summe der Risiken jedes einzelnen Investments im Portfolio. Wenn ich also mein Portfolio über viele Titel streue, sinkt mein Risiko bei gleicher Ertragschance.

Das Risiko eines Titels lässt sich in das systematische, nicht zu eliminierende Marktrisiko und das unsystematische Risiko des einzelnen Investments selbst auftrennen. Das Marktrisiko kann im Portfolio nicht reduziert werden. Durch die Zusammenstellung der Einzelinvestments kann jedoch das Gesamtrisiko des Portfolios gegenüber der Summe der Einzelrisiken verringert werden.

Entscheidend ist die Korrelation der Titel untereinander: Erfolgt ihre jeweilige Entwicklung unabhängig voneinander, gleich- oder gegenläufig? Beispiel Ölpreis: Fällt er, profitieren Fluglinien oder Chemiekonzerne, Mineralölkonzerne hingegen leiden unter einem geringen Ölpreis. Nahezu unabhängig von diesem ist die IT-Branche. Ein Investment in Fluglinien und Mineralölkonzerne ist unter Umständen ein Nullsummenspiel, weil sich die gegenläufigen Kursentwicklungen gegenseitig aufheben. Bei einer Kombination von Fluglinie oder Ölkonzern mit einem IT-Unternehmen hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Summe der Erträge einen Gewinn ausmacht, deutlich höher. Ein entsprechend diversifiziertes Portfolio ist bei gleichem Ertrag weniger schwankungsanfällig.

Hebelt die Globalisierung den Diversifikationseffekt aus?

Es ist naheliegend, dass ein Portfolio aus verschiedenen Assetklassen wie Aktien, Bonds, Rohstoffen oder Immobilien mit unterschiedlichen Risikoprofilen sowie aus verschiedenen Branchen und Regionen zusammengestellt werden sollte. Dieses Konzept ist nicht immer einfach umzusetzen und verlangt ein gutes Research. Doch die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass auch diese Art der Diversifizierung unter extremen Umständen nur unzureichenden Schutz bietet – nämlich dann, wenn alle Märkte weltweit in Turbulenzen geraten.

Das betrifft vor allem die Diversifikation über Länder und Regionen: Die internationalen Aktienmärkte – insbesondere die der am weitesten entwickelten Staaten – korrelierten in den letzten Jahrzehnten immer stärker miteinander. Der Grund hierfür ist die Globalisierung, die weltweite Vernetzung von Produktion und Nachfrage, die insbesondere durch immer effizientere Transportwege und -technologien möglich wurde. Die Erfindung des Standardcontainers und der darauffolgende Bau immer größerer Containerschiffe wirkte für den Welthandel wie ein Turbolader. Auch Freihandelsabkommen und der Abbau von Handelsbarrieren trugen wesentlich dazu bei. Dass die aktuellen Handelskonflikte zu einer grundsätzlichen Umkehr dieser Entwicklung führen, dürfte trotz aller Brisanz wohl eher unwahrscheinlich sein.

Unternehmenssitz verliert an Bedeutung

Die Diversifikation nach geografischer Lage ist auch deshalb zu hinterfragen, da heutzutage der Sitz eines Unternehmens nicht mehr unbedingt etwas darüber aussagt, in welchen regionalen Märkten es seine Geschäfte macht. Die Mehrheit der börsennotierten Unternehmen ist nicht mehr ausschließlich am heimischen Markt aktiv – das gilt natürlich ganz besonders für die exportaffinen deutschen Unternehmen.

24 der 30 DAX-Unternehmen erzielten 2017 beispielsweise 80 % ihres Umsatzes außerhalb Deutschlands (963 Mrd. Euro). Und die Hälfte der DAX-Industrieunternehmen erzielte in den USA sogar einen höheren Umsatz als im Inland. Andere, wie beispielsweise BMW, Infineon und Covesto, machten in China mehr Umsatz als zu Hause oder in den USA. Die Zahlen zeigen natürlich auch, dass es branchenspezifische Unterschiede gibt: Weniger international aufgestellt sind beispielsweise die Versorger.

Dennoch: Bei der weiter fortschreitenden Globalisierung wird für viele Unternehmen der Unternehmenssitz immer weniger wichtig für die Unternehmensausrichtung sein – wenn er nicht ohnehin in ein Land mit vorteilhafter Unternehmensbesteuerung verlegt wird.

Unternehmen, die global agieren, reagieren zunehmend ähnlich auf Schocks und Konjunkturzyklen, was durch die vernetzen Kanäle zeitgleich von den Märkten abgebildet wird. Wie lässt sich dieses Wissen um parallele Prozesse in einer zunehmend globalisierten Welt, deren Veränderungsprozesse noch lange nicht abgeschlossen sind, mit den Erkenntnissen der Portfoliotheorie zusammenbringen?

Regionale Diversifikation

Eine vielleicht erstaunliche Schlussfolgerung: Regionale Diversifikation bleibt wichtig. Auch wenn sich ein gewisser Gleichlauf insbesondere der Börsen der Industrienationen abzeichnet, weichen die Wachstumsraten und Kursentwicklungen in einzelnen Ländern und Regionen aufgrund ihres Entwicklungsstandes und ihrer Kerntechnologien immer noch stark voneinander ab. Die Emerging Markets sind hierfür ein Beispiel. Euro-Anleger sollten dabei im Hinterkopf behalten, dass für sie die Eurozone ihre „Heimatregion“ ist.

Diversifikation nach Branchen

Eine weitere Möglichkeit, starke Korrelationen auch in einer globalisierten Welt zu vermeiden, ist eine Allokation nach Branchen. Diversifikation bedeutet in diesem Fall, Branchen zu identifizieren, die sich möglichst unabhängig voneinander entwickeln. Die Finanztitel der Welt mögen im Einklang schwingen, Investitionen in Pharmaunternehmen oder die Nahrungsmittelproduktion korrelieren damit nur wenig – insbesondere, wenn sie einen Grundbedarf decken.

Diversifikation in mono-national erfolgreiche Unternehmen

Ein interessanter Gedanke ist zudem, eine Diversifizierung in internationale Aktiengesellschaften vorzunehmen, die weitestgehend in ihren Heimatmärkten aktiv sind. In Deutschland wären das beispielsweise die Versorgungsunternehmen. In einer internationalen Studie haben zwei irische Forscher 1.300 Unternehmen aus zehn Ländern untersucht, von „mono-national“ bis global agierend. Das nunmehr nicht überraschende Fazit: Je internationaler die Unternehmen, desto geringer ihre Risikominderung für ein Depot. Den größten Beitrag zur Risiko-Rendite-Optimierung bieten laut den Autoren ausländische mono-nationale Unternehmen, wie beispielsweise die britische Supermarktkette Sainsbury oder der spanische Flughafenbetreiber Aena.

Selbstredend können auch bei stärker korrelierenden Finanzmärkten in einer globalisierten Welt innovative Anlageklassen identifiziert werden, die einen diversifizierenden Beitrag zum Portfolio leisten.

Schlussendlich ist jedes Streben nach Diversifikation besser als gar keine. Auch, wenn sie uns Menschen nicht unbedingt im Blut liegt. Nach der Theorie der Behavioral Finance steht Sicherheit auf der untersten Ebene der menschlichen Bedürfnispyramide. Ist die schiere Existenz gesichert, steigt die Risikobereitschaft. Überwiegt dann die Gier, werden schon einmal außergewöhnliche Erträge über nicht diversifizierte Investments angestrebt und (fast) alles auf eine Karte gesetzt. Doch alle Statistiken belegen, dass langfristig das diversifizierte Portfolio die Nase vorn hat.

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